Eine Handvoll Profile von Jugendlichen war diese Woche noch auf der Website der Austauschorganisation AFS Schweiz aufgeschaltet, darunter Yuvashkanda aus Malaysia, Raman aus Polen oder Bastián aus Chile. Während am vergangenen Wochenende Schülerinnen und -schüler aus aller Welt am Flughafen Zürich landeten, von ihren Gastfamilien in Empfang genommen wurden und ihr Austauschjahr antraten, sassen Yuvashkanda, Raman und Bastián zu Hause: Sie warteten immer noch auf die Zuteilung einer Gastfamilie in der Schweiz.
Bald sollten sie aufatmen können: «Wir sprechen aktuell mit mehreren ehemaligen Gastfamilien für die neuerliche Aufnahme eines Teilnehmers, sodass wir alle Schülerinnen und Schüler, die sich für die Schweiz beworben haben, willkommen heissen können», sagt Lisa Drössler (41), Geschäftsführerin bei AFS Schweiz. Mitte September werden die letzten Austauschschüler in der Schweiz eintreffen.
AFS steht für American Field Service und ist gemäss eigenen Angaben die grösste und älteste Non-Profit-Organisation für interkulturellen Schüleraustausch in der Schweiz. Der Schweizer Ableger der internationalen Organisation ist seit 1953 aktiv – und sieht sich heute mit neuen Herausforderungen konfrontiert: Es ist viel schwieriger geworden, Familien zu finden, die einen jungen Menschen bei sich aufnehmen – freiwillig und unentgeltlich.
Noch nicht auf Vor-Corona-Niveau
Generell sei das ehrenamtliche Engagement im Westen rückläufig, sagt Drössler. «Das ist ein gesellschaftliches Thema, das alle Organisationen betrifft, die auf ehrenamtlicher Basis funktionieren.» Während AFS vor der Pandemie jährlich 150 bis 170 Jugendliche für ein Jahr in die Schweiz aufnahm, sind es heute rund 100. Aber selbst für diese reduzierte Zahl ist die Familiensuche schwierig.
«Nach dem Ende der Pandemie hat es eine Weile gedauert, bis die Menschen wieder Vertrauen in die globalen Gesundheits- und Reisestrukturen gefasst haben», sagt die AFS-Geschäftsführerin. Die Zahlen haben sich erholt, sind aber noch nicht wieder auf dem Niveau von vor Corona. Weil AFS weniger Schweizer Jugendliche ins Ausland schickt, ist der Pool an potenziellen Gastfamilien hierzulande kleiner – denn grundsätzlich sollten Familien, die ein Kind ins Austauschjahr schicken, auch eines aufnehmen, sei es im selben Jahr oder zeitlich versetzt.
Hinzu kommt, dass Familien vermehrt Zimmer als Homeoffice nutzen oder nach Kriegsausbruch 2022 für Flüchtlinge aus der Ukraine zur Verfügung stellten. Gleichzeitig scheinen die Verhaltensregeln der Pandemie noch in den Köpfen zu wirken: «Wir haben ein neues Biedermeier», sagt Lisa Drössler. «Die Menschen ziehen sich mehr ins Private zurück.» Gute Gründe, jemanden nicht aufzunehmen, fänden sich immer, sei es der neue Job eines Elternteils oder die schulische Situation des eigenen Kindes.
Weniger Plätze in den USA
Besonders gefragt bei Schweizer Jugendlichen sind die Destinationen Japan, USA und andere englischsprachige Länder. Gerade in den USA gibt es jedoch weniger Plätze als vor der Pandemie, da weniger Familien bereit sind, Jugendliche ohne Entlöhnung aufzunehmen. Dabei spiele die Inflation eine Rolle, sagt Drössler.
Schickte AFS Schweiz beispielsweise 2019 noch knapp 90 Jugendliche für ein Austauschjahr in die USA, sind es in diesem Jahr nur 35. Dass der Rückgang nicht nur AFS betrifft, zeigt die Statistik der von den USA vergebenen J1-Visa. Die Kategorie J1 setzt unter anderem eine unbezahlte Gastfamilie voraus. Im erwähnten Jahr 2019 erhielten insgesamt 350 Personen aus der Schweiz ein solches Visum. 2023 waren es rund 290.
Im Gerangel um ehrenamtliche Gastgeber belohnen manche Schüleraustausch-Organisationen ihre lokalen Koordinatoren mit einer Prämie pro platziertes Kind. Diese Praxis gilt auch bei EF Education First. Auf Anfrage schreibt eine Sprecherin von EF in Zürich weiter, die Organisation gebe eine Vermittlungsgarantie für ihre Austauschschülerinnen und -schüler. Und: «Wir freuen uns sehr, dass die grosse Nachfrage an unserem High-School-Austauschprogramm stetig weiter steigt.»