Die stille Karriere des einstigen SRF-Stars
Vrenis Fluch

Hanna Scheuring ist eine der erfolgreichsten Intendantinnen des Landes. Sie füllt Abend für Abend das Zürcher Bernhard Theater – ohne Subventionen. Am 1. März feiert ihr neuestes Stück Premiere. Doch ihre Rolle in «Fascht e Familie» wird sie nicht los.
Publiziert: 08:39 Uhr
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80'000 Zuschauer: Theatermanagerin Scheuring.
Foto: Thomas Meier

Auf einen Blick

  • Hanna Scheuring leitet erfolgreich das Zürcher Bernhard Theater seit zehn Jahren
  • Bekannt als «Vreni» aus TV-Serie, kämpft sie mit diesem Image
  • Letztes Jahr begrüsste sie rund 80'000 Zuschauer im Bernhard Theater
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Das Treffen beginnt mit einer Überraschung. Hanna ­Scheuring bestellt einen Tee. Dabei haben wir uns doch um 17 Uhr in der Bar des Restaurants Lulu in Zürich verabredet. Keinen Drink? Kein Glas Wein mit der Regisseurin und Schauspielerin, die sich mit ihren Bühnenauftritten ein Image als Frohnatur zugelegt hat, als Botschafterin der guten Laune in einer von Unbill durchsetzten Gegenwart? Wo die Welt in Moll ertönt, hält sie mit ihrem Schaffen ein paar Dur-Akkorde dagegen. Und warum jetzt Tee zur Apéro-Zeit? «Ich muss heute Abend noch Einlass machen.» 

Da kommt die andere Hanna Scheuring zum Vorschein: Ohne die nötige Dosis Disziplin, ohne den helvetischen Arbeitsethos hätte es die 59-Jährige nicht zu einer der erfolgreichsten ­Theatermacherinnen des Landes gebracht. Scheuring leitet seit zehn Jahren das Zürcher Bernhard Theater. Und füllt die Bude. Letztes Jahr hatte sie rund 80 000 Zuschauerinnen und ­Zuschauer begrüsst. Was mehr ist als das hoch subventionierte Zürcher Schauspielhaus.

«Was macht s Vreni da?»

Viel Bewunderung gibt es dafür nicht. Noch immer gilt sie für den Grossteil der Öffentlichkeit schlicht als Vreni. Scheuring ­wurde in den Neunzigerjahren landesweit bekannt in der Rolle der jungen, leichtfüssigen Bankangestellten in der SRF-Sitcom «Fascht e Familie» von Charles Lewinsky (78).

Die Serie ist für Scheuring heute Fluch und Segen: Die Rolle katapultierte sie zur landesweiten Bekanntheit. Doch wird sie die Figur nicht mehr los. «Wenn ich abends an der Kasse stehe, höre ich heute noch regelmässig: Was macht s Vreni da?»

Mit Vreni hat Hanna indes wenig zu tun. Letztere hat ein ­Näschen für publikumswirksame Inhalte. Am 1. März feiert ihr neustes Stück Premiere, «Wir sind die Neuen», eine schweizerdeutsche Adaption der gleichnamigen deutschen Komödie aus dem Jahr 2014. Der Plot: Drei Alte gründen eine WG. Bald kommts zum Konflikt mit der Wohngemeinschaft im oberen Stock, die aus drei Schnöseln besteht – die wollen Karriere ­machen, während die Nachbarn im Fast-AHV-Alter noch einmal ihre wilden Zeiten beschwören wollen. Doch bald werden die Gräben der Generationen überbrückt und Grenzen verwischt.

Sie übernahm ein Millionengrab

«Ich habe vor ein paar Jahren den Film gesehen und sofort gedacht: Das ist guter Stoff fürs Bernhard Theater», sagt sie, «Generationen, die auseinanderklaffen. Alte, die wild sein wollen, die Jungen, die nur Geld im Kopf haben. Und Wohnungsnot.» Die Ingredienzien verheissen Erfolg.

Theatermacherin Scheuring belehrt ihr Publikum nicht. Sie hat keine Angst vor der gesellschaftlichen Mitte und vor ­Mainstream-Themen. Und damit vor dem Gegenprogramm zum ­experimentellen, öffentlich finanzierten Progressiv-Theater der Avantgarde. Sie ist da ganz pragmatisch: «Da wir keine Subventionen erhalten, können wir es uns gar nicht erlauben, Inhalte zu bringen, bei denen nicht viele Leute kommen.»

Was Scheuring anfasst, scheint zu Gold zu werden. Vor zehn Jahren übernahm sie das Bernhard Theater, direkt neben dem Zürcher Opernhaus gelegen, eine Institution der Schweizer Unterhaltungskultur, aber auch ein Millionengrab.

Margrit Rainer, Hans Gmür und Ines Torelli wirkten hier

Das Haus wurde in den Vierzigerjahren von Rudolf Bernhard (1901–1962) eröffnet, einem Schüler Karl Valentins; Grössen wie Heinz Rühmann und Maria Schell gastierten hier. In der Nachkriegszeit wurde der Ort zum ­Epi­zentrum des schweizerischen Boulevardtheaters. Namen wie Hans Gmür, Ettore Cella, Margrit Rainer, Ines Torelli, Walter ­Roderer, Paul Bühlmann, Inigo Gallo, Jörg Schneider und Ursula Schaeppi (84) stehen in ewiger Verbindung mit der Adresse am­ Zürcher Sechseläutenplatz. Die ­Schwänke wurden am ­Samstagabend vom Schweizer Fernsehen ­übertragen, und so kam auch der Teenager Hanna zum ersten Mal in Kontakt mit dem ­Betrieb, der seit 1984 im «Fleischchäs» genannten ­orangebraunen Gebäude haust.

Beim Opernhaus war man skeptisch

Später ging es mit dem Bernhard Theater steil bergab; tragischer Nullpunkt war der Freitod von Direktor Eynar Grabowsky 1995, der den Betrieb hoch verschuldet hinterliess. Mehrere Nachfolger gaben sich danach die Klinke in die Hand, von Monika Kaelin (70) über Max Rüeger (1934–2009) bis Dominik Flaschka (53). Mehrmals ging der Laden Konkurs.

Erich Vock (63) füllte den Saal ­wieder mit Leben – Adieu Tristesse! Doch ­mietete er die Räumlichkeit als Ex­terner. Zwischendurch blieb die Bühne an ­bester Lage monatelang ­ungenutzt. Eine Intendanz im ­Bernhard Theater? An diesen Wahnsinn wagte sich ­niemand mehr heran. Bis 2014 Hanna Scheuring kam. «Mein ­Umfeld sagte: Spinnst du?» Beim Opernhaus, der ­Eigentümerin der Institution, war man skeptisch. Keine Eigenproduktionen! – hiess es anfangs. Davon kam man ­später wieder ab. Und ein ­Talkmaster eines Regionalsenders ­fragte sie vor der ­Kamera: «Kannst du denn eine Erfolgsrechnung ­lesen?» Eigentlich meinte er: Kann die blonde Vreni eine Erfolgsrechnung lesen?

Dann hatte sie die Idee mit Moritz Leuenberger

Vielleicht spinnt sie ein wenig, wie Künstler eben spinnen, ­sicher aber spielte noch ein anderer Faktor mit: «Für Schauspielerinnen ab 35, 40 wird die Luft dünn, das Angebot an Rollen wird dann überschaubar», sagt sie. Dazu war sie als alleinerziehende Mutter in einer Situation, in der sie eigentlich wenig zu verlieren hatte. Also wagte sie es – und startete gleich mit einem enormen Erfolg. Sie nahm den unter anderen von Hans Gmür ­entwickelten Live-Talk «Bernhard Apéro» wieder auf und verwandelte das ­Format in die sonntägliche «Bernhard Matinée». Da brauchte es noch einen Gastgeber. Scheuring fragte den zurückgetretenen alt Bundesrat Moritz Leuenberger (78) an – und erwies damit das richtige Gespür: Das Format wurde sofort Kult, und der ­Ex-Magistrat entdeckte nach seiner Politkarriere eine neue ­Berufung. Bloss: In all den Medienberichten wird die Impresaria Scheuring als Schöpferin der ganzen Sache mit keinem Wort ­erwähnt. Sie ist ja nur die Vreni.

Eine künstlerische Liebe mit Daniel Rohr

Aber eine, die in die vorderste Reihe drängt, ist sie sowieso nicht. Womit sie sich wohltuend von einer Branche abhebt, in der so mancher junge Theatermacher schon kurz nach dem ersten Kulturförderbeitrag davon überzeugt ist, der nächste Molière zu sein.

Sie hat gar keine Zeit für solcherlei Eitelkeiten, zumal sie mit ­Regisseur und Schauspieler Daniel Rohr (64) nicht nur ihren ­kongenialen Schaffenspartner, sondern auch die Liebe ihres ­Lebens gefunden hat. 2023 ­heirateten die beiden. Er betreibt das Zürcher Theater Rigiblick nicht minder erfolgreich. Mal spielt er in einem Stück von ihr am Sechseläutenplatz, mal spielt sie in einem seiner Stücke auf dem Züriberg. «Spiel mir das Lied … von Morricone», eine Hommage an den legendären Filmkomponisten mit Scheuring, Rohr, Pepe Lienhard (78) und dem hauseigenen Orchester, ist genial. Dieser Art ­Theater liegt der Anspruch fern, die Menschen moralisch zu etwas Besserem zu formen. Den Themen der jungen Generation begegnet Scheuring denn auch mit Vorsicht. ­«Einerseits finde ich es mega wichtig, dass etwas passiert», sagt sie, «ich lerne etwas von den ­J­ungen, wenn mir mein Sohn sagt: Das war jetzt rassistisch, Mama.» 

Harald Schmidt wurde zum Scheuring-Fan

Doch bereitet ihr der Gedanke an eine ­«Polizeigesellschaft», in der nichts mehr erlaubt ist, Unbehagen. «Dann nimmt es der Kunst die Luft. Ich finde das so wichtig, dass man auch mal anecken kann.» Manchmal fehle ihr der ­gesunde Menschenverstand, etwa bei den Zensurbemühungen in Karl Mays «Winnetou». «So macht man Kunst kaputt.»

Als Moritz Leuenberger 2021 aufhörte, stand Scheuring ­wieder einmal vor einer Herausforderung. Ihre Idee? Statt ­eines fixen Nachfolgers setzte sie neu auf wechselnde Hosts. «Ich wusste, der erste Name muss knallen», sagt Scheuring. Und das gelang: Sie konnte für die erste Matinée ohne ­Leuenberger den deutschen Entertainer Harald Schmidt (67) gewinnen. Die Plätze waren voll, das Publikum begeistert, und Schweiz-Fan Schmidt avancierte zum ­Scheuring-Fan, der seither immer wieder in Zürich auftritt.

«Wir sind fast so was wie Freundinnen geworden»

Am 5. Mai steht «Dirty Harry» ­wieder auf der Bühne des Bernhard ­Theaters. Diesmal nur er und Scheuring. Es sei sein Wunsch gewesen. «Unvorbereitet, das ist ihm wichtig», lacht sie. Etwas nervös sei sie schon.

Auch wenn sie das nicht sagt: Wahrscheinlich wird auch ­dieser Abend ausverkauft sein. Und wieder wird sie vielleicht von einem Gast auf Vreni angesprochen. Jetzt, wo die Serie wieder ausgestrahlt wird, kämen sogar die Jungen damit. «Diese Figur wird mich bis ans Lebensende begleiten. Aber wir sind schon fast so was wie Freundinnen geworden», sagt sie. Und trinkt ihren letzten Schluck Tee. 

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