Bundeskanzler Scholz bringt das Accessoire zurück in die Öffentlichkeit
Wieso die Augenklappe nichts mit Piraten zu tun hat

Echt jetzt oder ist das alles nur Show? Seit der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz eine Augenklappe trägt, wirkt er weniger langweilig. Über ein auffälliges Accessoire, das eigentlich nur verbergen soll.
Publiziert: 09.09.2023 um 18:38 Uhr
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Eine ovale, hühnereigrosse, leicht gewölbte Schale: die Augenkappe.
Foto: Getty Images
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Jogging-Unfall von Olaf S.

«Bin gespannt auf die Memes», schrieb der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (65) auf dem Mikroblogging-Dienst X, als er dort am letzten Montag ein Foto von sich mit schwarzer Augenklappe veröffentlichte. Am letzten Wochenende hatte er sich beim Jogging am rechten Auge verletzt. «Sieht schlimmer aus, als es ist», schrieb der Kanzler noch. Und tatsächlich liessen die Memes nicht lange auf sich warten: «Unser neuer Bundesvorsitzender Olaf S.», postete die Piratenpartei.

Hühnereigrosse Schale

Eine ovale, hühnereigrosse, leicht gewölbte Schale aus Leder, Filz oder Kunststoff – so präsentiert sich die Augenklappe in einem weltweiten Einheitslook. Ein elastisches Gummiband, das über den Hinterkopf zu spannen ist, hält sie über dem linken oder rechten Auge fest. Zudem gibt es Modelle, die an einer Brille befestigt sind. Vor dem Aufkommen von Schutzbrillen und Glasaugen waren Augenklappen allgegenwärtig. Heute kommen sie am häufigsten als Verkleidung an der Fasnacht zum Einsatz.

Weshalb so auffällig verbergen?

Eine Verletzung, ein blindes oder verlorenes Auge: Die Klappe dient zum Abdecken eines Makels im Gesicht. Besonders gefährdete Berufsgruppen wie Schmiede trugen früher deshalb häufig eine Augenklappe. Wenn es schon etwas zu verbergen gilt, warum so auffällig? Eine weisse oder hautfarbene Abdeckung wäre dezenter. Schwarz hat sich allerdings durchgesetzt, macht die Augenklappe zu einem Hingucker und zaubert einen abenteuerlichen und verwegenen Charakterzug ins Gesicht.

Mythos der beklappten Piraten

Bei Augenklappen denken wir sofort an Piraten. Es gibt drei Erklärungen: Seeräuber verloren das Auge im Säbelgefecht, erblindeten beim Blick durch Sextanten in die Sonne, oder sie haben darunter ein gesundes Auge – bei Kämpfen unter Deck nehmen sie die Klappe weg und sehen im Dunkeln sofort. Alles Quatsch, sagt der deutsche Wissenschaftsjournalist Christoph Drösser (64): «Es gibt keine Darstellungen von beklappten Piraten aus dem Goldenen Zeitalter der Piraterie, das um 1730 endete.»

Comics sorgten für Popularität

Das Bild entstand durch die Abenteuerromane im 19. Jahrhundert, und im 20. Jahrhundert machten es Comics so richtig populär: Danger Mouse trägt eine Augenklappe wie Bazooka Joe, Nick Fury aus den Marvel Comics genauso wie Wikingerhäuptling Halvar von Flake aus «Wickie und die starken Männer». Und in «Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär» von Comiczeichner und Autor Walter Moers (66) heisst es: «Ausserdem habe ich keinen von ihnen jemals ohne Augenklappe gesehen.» Fiktion schafft Fakten.

Prominente Träger einer Abdeckung

Tatsache ist auch, dass vor Scholz andere bekannte Figuren aus Fleisch und Blut zu realen Trägern einer Augenklappe gehörten – der israelische Verteidigungs- und Aussenminister Mosche Dajan (1915–1981) ist sicher einer der Berühmtesten. Zumindest als Teilzeitträger prominent sind der irische Schriftsteller James Joyce (1882–1941), die Filmemacher Fritz Lang (1890–1976) aus Deutschland und John Ford (1894–1973) aus den USA sowie der britische Musiker David Bowie (1947–2016).

Hinter jeder Klappe eine Leidensgeschichte

Hinter jeder Augenklappe steckt eine mehr oder weniger lange Leidensgeschichte. Ein neueres Beispiel ist der Messerangriff vom 12. August 2022 auf den indisch-britischen Schriftsteller Salman Rushdie (76), der ihm das rechte Auge zerstörte. Leidtragende sind aber auch Kleinkinder, denen wegen Schwachsichtigkeit und Schielen das bessere Auge abgedeckt wird – so bewegen sie sich unsicherer und sind sozial ausgegrenzt, wie eine Studie von 2008 aufzeigt.

Und wo bleiben die Frauen?

Auffällig: Was berühmte Personen mit Augenklappe anbelangt, so sind es überwiegend Männer. Gewiss, sie sind grösserer Gefahr ausgesetzt, im Militär (wie Mosche Dajan) oder bei Schlägereien (wie David Bowie) die Augen zu verletzen. Und so braucht es eine kämpferische Frau mit Schwert wie Elle Driver – dargestellt von Daryl Hannah (62) – aus den «Kill Bill»-Filmen (2003/04), um wenigstens in der Fiktion eine der wenigen berühmten Frauen mit Augenklappe zu lancieren.

Modeaccessoire von Madonna

Einmal erhob eine Frau die Augenklappe zum Modeaccessoire: US-Sängerin Madonna (65) im Video «Medellín» aus ihrem Album «Madame X» (2019). Gut ein halbes Dutzend Modelle drückt sie sich dort aufs linke Auge – von knallrot bis durchgeknallt mit Sicherheitsnadeln drauf. Im selben Jahr macht Trendsetter und US-Schauspieler Tom Cruise (61) die Augenklappe für Männer chic: Im Film «Operation Walküre» (2019) spielt er so den Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg (1907–1944). 

Für ein paar Franken zu haben

Wer nun Lust hat, sich selber eine Augenklappe zu kaufen – aus Spass und hoffentlich nicht wegen einer Verletzung –, der findet im Internet farbige und verzierte Modelle für wenige Franken. Doch aus medizinischer Sicht sollte man vor allem bei Kindern ein Auge nur kurz zu spielerischen Zwecken abdecken. Und sollte es sich um einen Notfall handeln, so empfiehlt es sich, Augenklappen von Apotheken zu verwenden – meist im schwarzen Einheitslook.

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