Blick trifft Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter vor Ort
«Auschwitz hat mit uns allen etwas zu tun»

Staats- und Regierungschefs sowie Überlebende gedachten den Holocaust-Opfern in Auschwitz. Auch Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter war dabei. Wir trafen sie vor Ort zum Interview.
Publiziert: 27.01.2025 um 19:28 Uhr
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Aktualisiert: 27.01.2025 um 21:24 Uhr
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Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter ist anlässlich des Gedenkanlasses nach Auschwitz gekommen.
Foto: Thomas Meier

Auf einen Blick

  • Bundespräsidentin Keller-Sutter besucht Auschwitz mit Holocaust-Überlebenden
  • Antisemitismus nimmt zu, auch an Universitäten und in linken Kreisen
  • Die Opfer des Holocaust sind gerade heute wichtige Zeugen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Rebecca WyssRedaktorin Gesellschaft

Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (61) ist heute mit zwei Schweizer Holocaust-Überlebenden im polnischen Auschwitz eingetroffen. Anlass ist der 80. Jahrestag der Befreiung des grössten Vernichtungslagers der NS-Regierung. Sichtlich berührt schritt Keller-Sutter auf dem Rundgang mit ihrer Delegation durch den Teil des Lagers, der heute ein Museum ist. Vor der schwarzen Wand, an der SS-Männer Tausende Gefangene erschossen, liess sie zusammen mit den Überlebenden einen Kranz niederlegen. Und sie gedachte den 1,1 Millionen Menschen, die in Auschwitz ermordet wurden.

Frau Bundespräsidentin, was bedeutet Ihnen persönlich der Besuch von Auschwitz?
Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter: Der Besuch ist für mich sehr wichtig, aber auch schwierig. Hier zu stehen und zu erfahren, was so vielen Menschen geschehen ist, bedrückt mich. Aber nicht erst heute. Seit ich weiss, dass ich hierherkommen werde, beschäftigt mich das.

Weshalb sind Sie mit Überlebenden hierhergereist?
Es ist wichtig, dass die beiden Brüder, die den Holocaust überlebt haben, hier in Auschwitz sind. Sie sehen den Ort nach 80 Jahren zum ersten Mal wieder. Ihr Zeugnis ist bedeutend. Es gibt ja heute Wirrköpfe, die bestreiten, dass die Shoah stattgefunden hat. Was hier in Auschwitz passiert ist, dürfen wir nie vergessen.

Gibt es etwas bei der Begegnung mit den beiden, das Sie berührt hat?
Ich bin extrem beeindruckt davon, wie gefasst sie sind. Als wären sie ausserhalb von sich. Das ist wahrscheinlich auch ihre Strategie, um mit den Eindrücken, die sie hier sammeln, überhaupt umgehen zu können. Ich habe grossen Respekt vor ihnen.

Anlässlich der Debatte um die nachrichtenlosen Vermögen in den 1990er-Jahren sagte Bundesrat Delamuraz: «Wenn ich gewissen Leuten zuhöre, frage ich mich, ob Auschwitz eigentlich in der Schweiz liegt.» Was hat die Schweiz mit Auschwitz zu tun?
Auschwitz hat mit uns allen etwas zu tun. Hier geschah der grösste industrielle Mord an den Juden. Es gab kein grösseres Verbrechen an der Menschlichkeit. Auch viele Schweizer Juden waren hier. Ich verstehe nicht, wie man damals diesen Massenmord nicht bemerkt haben soll. Heute Morgen nach dem Aufstehen habe ich mich gefragt: Wenn man in meiner Strasse plötzlich Menschen abtransportieren würde und die wären plötzlich weg, würde ich nicht nach denen fragen? Das finde ich so beklemmend. Das war ja einfach möglich.

Was glauben Sie, warum tat das niemand: Fragen, wo all diese Menschen geblieben sind?
Viele Leute wussten es bestimmt. Sie hatten wohl Angst und sprachen nicht darüber, weil sie sich wohl selbst gefährdet hätten.

Der Bundesrat sperrte sich lange gegen ein Verbot von Nazi-Symbolen und auch gegen ein Shoah-Mahnmal. Tut sich die Schweiz mit der Erinnerungskultur schwer?
Nein, heute bestimmt nicht mehr. Als Politikerin im Kanton St. Gallen habe ich miterlebt, wie man den Polizeihauptmann Paul Grüninger, der viele Juden gerettet hat, rehabilitiert hat. Und bald wird es auch ein Mahnmal in Bern sowie eine Erinnerungsstätte in St. Gallen geben. Letzteres freut mich besonders. Die Hauptauswirkungen der Judenverfolgung gab es nicht im Zentrum der Schweiz, sondern an der Grenze, wo man auch jüdische Flüchtlinge abwies.

Rechtsextreme Politik ist weltweit auf dem Vormarsch und Antisemitismus nimmt zu. Was ist derzeit Ihre grösste Sorge?
Antisemitismus ist nicht einfach rechts. Antisemitismus ist auch islamistisch oder, und das ist bei uns spürbar: links. Das hat der Überfall der Hamas gezeigt und die Proteste, die darauf in der Schweiz folgten. Man sieht leider auch an den Universitäten Antisemitismus, bei dem Studenten Israel das Existenzrecht absprechen.

Was ist da die grösste Herausforderung?
Das Existenzrecht von Israel zu sichern in einer Zeit, in der das bestritten wird. Ich weiss nicht, ob die, die «From the river to the sea» skandieren, wissen, was sie tun. Man hat den Juden nach dem Zweiten Weltkrieg einen Platz gegeben, und diesen Platz müssen wir verteidigen.

Manche Überlebende wünschen sich, dass die Schweiz die radikale BDS-Bewegung verbietet. Diese propagiert den Boykott von Israel. Was halten Sie von diesem Wunsch?
Ich bin eine Freundin der Aufklärung. Bei Verboten bin ich skeptisch, ob sie wirklich etwas bringen. Wichtig ist, dass Überlebende, solange es sie noch gibt, Zeugnis über den Holocaust ablegen.

Was kann die Schweiz vom Schrecken des Holocausts lernen?
Der Rechtsstaat hat in der Schweiz eine grosse Bedeutung. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das ist entscheidend. Dazu müssen wir weiter Sorge tragen.

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