Es ist kurz vor Mittag, doch die zehn Uhren vorne auf der Leinwand ticken alle unterschiedlich schnell. Da ist eine Blut-Uhr, eine Herz-Uhr, aber auch die Uhr des Verstandes: «Nicht alle Teile unseres Körpers altern gleich schnell», erklärt Evelyne Yehudit Bischof die Grafik. Die Professorin und Ärztin hält an der Konferenz in Gstaad BE einen Vortrag über die sogenannte «Longevity» – die Langlebigkeit.
Es ist ein Begriff, der sich in den letzten Jahren vom US-Phänomen zum weltweiten Trend und rund 112 Milliarden US-Dollar schweren Markt etabliert hat. Denn die Mär der ewigen Jugend ist schon lange kein Teenagertraum mehr. Sondern zum Lebensziel von immer mehr Menschen herangewachsen. Unzählige Menschen verfolgen in den sozialen Medien, wie sogenannte Bio-Hacker ihren eigenen Alterungsprozess aufhalten und die biologische Uhr sogar rückwärts laufen lassen wollen.
Wie der exzentrische Multimillionär Bryan Johnson (46), der am Mittwochabend einen Online-Vortrag hielt. Zum zweiten Mal versammelt sich hier im Berner Oberland an der Longevity Conference 2023 die reiche Elite, um sich einen Überblick über den Forschungsstand zu verschaffen und Kontakte zu knüpfen.
Kostenpunkt: Knapp fünftausend Franken
Der Mann im Prada-Anzug atmet tief durch. Er steht auf der Terrasse des Fünfsternhotels Le Grand Bellevue in Gstaad und lässt seinen Blick über die Wipfel und Pässe gleiten. Er fragt seinen Kollegen: «Hier lässt es sich ewig leben, nicht?». Beide lachen. Dann gehen sie wieder rein, für den nächsten Vortrag.
Die Aussicht ist ein Traum. Die Aussichten der wohlhabenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz noch viel traumhafter. Vorausgesetzt, sie investieren diese Woche in die richtigen Projekte. Die Verjüngungsforschung boomt, erste Labordurchbrüche lassen den Pharmamarkt auf Milliardenumsätze hoffen.
Es sei «die exklusivste Konferenz für Langlebigkeits-Investoren», schreiben die Veranstalter. Ziel des Events: Forschung und Investoren zusammenbringen. 120 Gäste, hauptsächlich aus den USA und Asien. Dazu Vorträge von Harvard-Genetik-Professor David A. Sinclair (54) und Biochemikern bis hin zu Start-ups für mutmassliche Mittelchen und Tinkturen für die ewige Jugend. Kosten für zwei Tage pro Person: Knapp 5000 Franken.
«Wie viele hier im Raum sind schon länger als 10 Jahre verheiratet?», fragt Nir Barzilai (67) inzwischen von der Bühne. Er ist Direktor des Instituts für Alterung der Albert-Einstein-Universität in New York. Die Mehrheit im noblen Saal hebt die Hand. «Wie hätte das vor 200 Jahren wohl ausgesehen, als die Lebenserwartung noch bei rund dreissig Jahren lag?», fragt er weiter. Und fügt an: «Ich bin ganz aufgeregt – wir schreiben hier gerade Geschichte!»
Das Diabetes-Wundermittel
Seit vielen Jahren forscht Barzilai an der ewigen Jugend. In den vergangenen Jahrhunderten habe sich die Lebenserwartung bereits verdreifacht: Durch Verbesserung von Hygiene und Trinkwasserqualität, zum Beispiel. Barzilais Ziel: Die Lebenserwartung mit Medikamenten weiter zu steigern.
Genauer gesagt mit dem Diabetes-Medikament Metformin, das gegen bestimmte altersbedingte Krankheiten wie Schlaganfälle oder Herzinfarkte helfen soll. Barzilai sieht darin grosses Potenzial, «das die Gesundheits- und Pflegebranche revolutionieren könnte». Doch die Erforschung neuer Medikamente und Therapien gestaltet sich in der Verjüngungsbranche schwierig: Weil das Altern nicht offiziell als Krankheit eingestuft wird, ziehen sich Studien und Medikamententests in die Länge.
Das Forschungsfeld eröffnet eine schwindelerregende Zukunft: Wie werden sich Lebenserwartung, Medizin und Pflege in den nächsten Jahren verändern? Doch bleiben viele grosse Fragen unbeantwortet: Wer investiert in die Altersvorsorge, wenn die Menschen immer älter werden? Wird sich nur die Elite die Verjüngung leisten können? Und schliesslich: Ist es nicht gerade die beschränkte Zeit, die unser Leben lebenswert macht?
«Offenkundig ungerecht»
«Die meisten Menschen werden bei diesen Projekten des 21. Jahrhunderts, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle spielen», schreibt Historiker und Gesellschaftsanalytiker Yuval Harari (47) in seinem Buch «Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen» über das Streben nach der Unsterblichkeit.
Dass immer noch Milliarden Menschen mit Armut, Krankheit und Gewalt, zu kämpfen hätten, während die Eliten bereits nach der ewigen Jugend greifen, sei «ganz offenkundig ungerecht». Harari schreibt weiter: «Doch so lange die Menschen an etwas sterben, so lange werden wir danach streben, dieses Etwas zu überwinden.»
Es ist Mittagszeit. Für den «Networking-Lunch» im Bergrestaurant nimmt die Verjüngungselite das Gondeli in Richtung Gipfel. Währenddessen holen sich die Handwerker von der Baustelle neben dem Hotel Bellevue ein Sandwich im Coop. Zwei Rentnerinnen lachen, die Gesichter voller Falten.
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