Ein Glas Wein pro Tag ist gesund. Das gilt weithin als Fakt. Doch nun räumt die Wissenschaft mit diesem Grundsatz auf und verweist ihn ins Reich der Mythen.
Bei der Analyse von 107 Längsschnittstudien, die den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Sterblichkeit untersucht haben, stellte das Forschungsteam um Tim Stockwell erhebliche Mängel in den Studiendesigns fest, die einen Grossteil der Ergebnisse verzerrten. Laut den Wissenschaftlern ist ein moderater Alkoholkonsum, wie beispielsweise täglich ein Glas Wein, nicht gesundheitsfördernder als der komplette Verzicht auf Alkohol.
Brauchts jetzt ein Alkoholverkaufsverbot?
In der Schweiz fordert deshalb die Präventionsorganisation Blaues Kreuz Konsequenzen: «Die Studie von Tim Stockwell mischt die Karten neu», sagt Mediensprecher Martin Bienlein vom Blauen Kreuz Schweiz. «Das vermeintlich gesunde Glas gibt es nicht – je mehr man nämlich trinkt, desto höher ist das Krankheits- und auch das Todesrisiko.» Für die Gesundheitspolitik heisse dies, dass der Staat die Konsumanreize drosseln müsse: keine Werbung für Alkohol und mehr billige nichtalkoholische Alternativen. Einen Lösungsansatz sieht Bienlein auch darin, den Verkauf von Alkohol zwischen zwei und zehn Uhr morgens zu verbieten: «Ich denke, zusammen mit der Tabakprävention können so in der Krankenversicherung ungefähr 10 Prozent der Prämien gespart werden.»
Doch wieso kam es zum falschen Glauben, ein Glas Wein am Tag sei gesund? Gemäss Stockwell wurde die Referenzgruppe der Abstinenzler nicht sorgfältig abgegrenzt – unter ihnen befanden sich Personen, die in der Vergangenheit oft Alkohol konsumiert und dann aufgrund von Gesundheitsbeschwerden dem Alkohol abgeschworen hatten. Ein weiteres Manko vieler Studien stellte die Altersstruktur der Studienteilnehmenden dar, oft hätten diese zudem geraucht oder Vorerkrankungen gehabt. Auch der gemessene Zeitraum des Alkoholkonsums habe die Ergebnisse verzerrt, da dieser zu kurz war.