Eine Ohrfeige, ein Klaps auf den Hintern oder eine «Tatze» – ein Hieb mit dem Rohrstock oder Lineal auf die Finger: Nicht nur zu Hause, sondern besonders in der Schule war es lange legitim, Kinder mit Körperstrafen zu massregeln.
Innerhalb unserer Erziehungsserie haben wir mit dem Schweizer Bildungshistoriker Daniel Deplazes (35) gesprochen. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Erziehung mit harter Hand an der Tagesordnung. «Wohl deswegen gibt es über die damaligen disziplinarischen Erziehungsmassnahmen kaum Aufzeichnungen. Die wenigen Zeitzeugnisse, in denen von der damaligen Schulzeit berichtet wird, zeugen jedoch von Gewalt. In Extremfällen floss sogar Blut», erzählt er dem BLICK.
Auch die Community hat sich daraufhin in der Kommentarspalte über ihre ganz persönlichen Erfahrungen in Sachen Gewalt in der Kindererziehung ausgetauscht, besonders innerhalb der Schule.
«Ich habe sehr gelitten und mich gefürchtet»
Ein Grossteil der Leserinnen und Leser kann die Beschreibungen des Bildungshistorikers nur all zu gut nachempfinden. Viele haben in ihrer Kindheit Gewalt am eigenen Leib erfahren. «Züchtigungen durch Lehrer habe ich von der fünften bis in die neunte Klasse selbst erlebt und auch bei andern Kindern gesehen, da diese Bestrafungen jeweils vor der ganzen Klasse vollzogen wurden», schreibt Leser Adrian Rauch. Er habe sehr unter der Gewalt gelitten und sich gefürchtet. «Ich bin froh, dass diese zum Teil sadistisch geprägten Gewaltorgien durch Lehrpersonen heute verboten sind!»
Auch Leser Kurth Siegenthaler kann diese Erfahrungen teilen. «Unser Lehrer war sehr grosszügig im Tatzen austeilen und Kopfnüsse waren an der Tagesordnung – selbst für die kleinsten Vergehen.» Besonders die Mädchen habe der besagte Lehrer häufig bestraft.
«Er hat das Buch auf dem Kopf einer Schülerin zertrümmert»
Leser Fredy Safferi, der 1978 die Matura in Bern gemacht hat, berichtet ebenfalls von seinen Erlebnissen. «Wir hatten zwei Lehrer, die mit dem Lineal auf die Finger schlugen, wenn sie uns beim Spicken erwischten. Auch Kopfnüsse wurden verteilt!» Als sein Vater sich beim Rektor beschwerte, habe dieser nur ein müdes Lächeln bekommen. «So hatte ich in beiden Fächern nur noch schlechte Bewertungen – ich konnte schreiben, was ich wollte.»
Auch Ueli Baltensperger musste vieles miterleben: «Zum Beispiel hat ein Lehrer das Französischbuch auf dem Kopf einer Schülerin zertrümmert, so dass die Seiten rausflogen – alles nur, weil sie ein Wort wiederholt falsch sagte.» Auch Schläge mit dem Lineal auf die offene Hand seien an der Tagesordnung gewesen.
«Schlimmer als die Kopfnüsse war die öffentliche Demütigung»
Leser Fritz Münger hat ebenfalls einschneidende Erinnerungen an seine Schulzeit. «Wesentlich schlimmer als hin und wieder eine Kopfnuss war die öffentliche Demütigung und Blossstellung vor der gesamten Klasse.» Dies sei der Fall gewesen, sobald man den kleinsten Fehler gemacht habe oder etwas nicht gut konnte. «Dann doch lieber ab und an mal eins mit dem Lineal über die Pfoten.»
Das sieht auch Rene Maeder ähnlich: «Viel schlimmer als die körperliche Gewalt war die psychische Gewalt.» Obwohl Methoden wie «Schlüsselbund an den Kopf oder an den Haaren ziehen, den Kopf gegen die Wandtafel klatschen» auch nicht gerade angenehm gewesen seien. «Aber die Psychospiele und Demütigungen haben mir viel mehr zugesetzt.»
«Die Knaben wurden mit Schlägen auf den nackten Hintern bestraft»
Unzählige Leserinnen und Leser tauschen sich über ihre Erlebnisse weiter in der Kommentarspalte aus. «Oh ja, in den 70er-Jahren bekam ich fast täglich den Stock zu spüren, da ich Linkshänder bin», berichtet Thomas Killer. «Die Begründung war, dass wenn ich rechts Schreiben würde, meine Schrift schöner wäre und ich weniger Fehler mache.» Diese Methode habe allerdings nur das Gegenteil bewirkt.
Leserin Sylvia Bernasconi berichtet: «Ein Lehrer in unserer Schule – er agierte auch als Jugendrichter – bestrafte die Knaben mit Schlägen auf den nackten Hintern, mittels eines Besenstils.» Dazu hätten sie sich in der Bibliothek auf den Tisch legen müssen. «Wir Mädchen mussten uns vor der ganzen Klasse vor die Wandtafel knien, mit drei Büchern auf jedem Handrücken. Fiel ein Buch runter, gabs eine Ohrfeige.»
«Ich habe die Erlebnisse nie ganz verarbeiten können»
An die Züchtigungen aus ihrer Schulzeit erinnert sich auch Leser Beat Meier noch genau. «Schläge mit dem Lineal auf die Fingerkuppen, Kopf zusammenschlagen und Leberhaken gehörten zum Repertoire an Strafen.» Damals, so die Leserin, sei das völlig in Ordnung gewesen und selbst die eigenen Eltern konnten gegen die Zwischenfälle nichts ausrichten. «Lehrer mit einer sadistischen Ader haben ihre Neigung an der Schule ausgelebt. Ich habe die Erlebnisse nie ganz verarbeiten können.»
«Ich war jahrelang der Punchball meiner Lehrer», berichtet Peter Grimes von seiner Schulzeit. «Nicht weil ich Unfug machte, sondern eher weil ich still, klein und schmächtig und somit das schwächste Glied der Klasse war.» Auch zu Hause habe der Leser von seinem häufig alkoholisierten Vater Gewalt erfahren. «Fäuste und Tritte und mehrfache Krankenhausaufenthalte gehörten dazu.» Was ihn auch heute noch am meisten ärgere sei die Tatsache, dass Familie, Nachbarn, Polizei und Ärzte weggeschaut haben. «Heute ziehe ich meine sechs Kinder gemeinsam mit meiner Frau mit viel Liebe, Fürsorge und ohne Gewalt in einem sicheren Zuhause gross.»
«Mein Vater hat uns nie geschlagen»
Viele der Leserinnen und Leser haben Gewalt sowohl zu Hause als auch in der Schule erlebt. Doch nicht jedem ist es so ergangen. «Mein Vater, Jahrgang 1933, hat uns Kinder kein einziges Mal geschlagen», schreibt Leser Liehard Hermann. Seine natürliche Autorität und das Wissen über Grenzen, habe vollkommen ausgereicht, um die Kinder im Zaum zu halten. «Genau so machen wir es heute mit unseren Kids.»
Leser Peter Teddy ist sich sicher, dass Gewalt an Kindern nur Schlechtes bringt. «Wer Kinder schlägt, der erzieht keine besseren Kinder. Nur Kinder, die besser darin sind, ihre Fehler zu verbergen und niemals für das einzustehen, woran man glaubt.» (bej)