Altersdiskriminierung
«Man existiert gar nicht mehr»

Alte Menschen leisten nichts mehr und kosten nur. Eine böse Unterstellung. Doch diese Wahrnehmung ist es, die zur Altersdiskriminierung führt – im Alltag und auf dem Arbeitsmarkt. Unsere Leserinnen und Leser berichten von ihren Erfahrungen.
Publiziert: 31.10.2019 um 12:17 Uhr
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Aktualisiert: 31.10.2019 um 13:49 Uhr
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Alte Menschen sind bloss gebrechlich und auf Unterstützung angewiesen?
Foto: Keystone
Janosch Tröhler

«Ich fühle mich wie entsorgt, wertlos, als wäre ich der Welt lästig geworden.» Das hat die 76-jährige Mutter von Patrizia Laeri letzthin leise, aber eindringlich gesagt. In ihrer Kolumne auf Blick.ch thematisierte Laeri die Altersdiskriminierung. Auf einen Aufruf hin meldeten sich Dutzende Leserinnen und Leser, die diese Diskriminierung ebenfalls spüren.

«Das ist eine Alterguillotine»

Viele berichten von einer Benachteiligung bei der Jobsuche. Peter (61) arbeitete bei einer grossen Versicherung. Mit 56 wurde ihm gekündigt. «Bei all den Bewerbungen wurde ich immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass ich zu alt bin», berichtet er. Das sei eine regelrechte Altersguillotine, die bei den über 50-Jährigen zum Einsatz komme.

Erwin (60) suchte zwei Jahre lang einen Job, nachdem er sich beim vorherigen Arbeitgeber immer unwohler fühlte. «Nun, nach über 400 schriftlichen und 400 telefonischen Bewerbungen, wurde ich aussortiert», schreibt er uns. «Ich lebe nun von der Sozialhilfe, habe meine Wohnung und mein Auto verloren.» Seit Jahren werden alte Menschen systematisch diskriminiert, ist er überzeugt.

Und auch für den 63-jährigen Peter gab es keine Aussicht auf eine Stelle in der Schweiz. Er hat vor 13 Jahren seine Arbeit hier verloren. «Die Suche nach einer neuen Tätigkeit war erfolglos, und bei einer Bewerbung hat man mir klar gesagt, dass ich zu alt sei», sagt er. Seit 2006 lebt und arbeitet er deshalb in Italien. Doch: Wenn er in etwas mehr als einem Jahr pensioniert werde, könne er nicht in die Schweiz zurückkehren. Dafür reiche die Rente nicht aus.

Es sind Fälle wie jener von Beat Hossli, der auch nach 600 Bewerbungen keinen neuen Job findet.

«Ab einem gewissen Alter existiert man gar nicht mehr»

Aber nicht nur im umkämpften Arbeitsmarkt fällt älteren Menschen das Leben zunehmend schwerer. Es sind auch Erlebnisse im Alltag, in denen sich die Diskriminierung zeigt.

Maggie (60) spürt es jeweils, wenn sie einkaufen geht. «Wenn ich der Verkäuferin eine Frage stelle und meine 25-jährige Tochter dabei ist, werde ich ignoriert, obwohl es mein Anliegen ist», erzählt sie. Auch begrüsst werde sie im Laden kaum. Wenn die Tochter dabei sei, käme aber ein freundliches Hallo. «Ich habe meiner Tochter schon oft gesagt, dass man ab einem gewissen Alter gar nicht mehr existiert.»

In der Apotheke sei jeweils ihre Kompetenz infrage gestellt worden, berichtet Sonja (70). Es kamen Fragen wie «Für was brauchen Sie das?» oder «Wissen Sie, wie man die Tabletten einnimmt?». Der Fragenkatalog gehe stets ins Unermessliche. «Das letzte Mal verzichtete ich in der Apotheke aufs Medikament und holte es beim Hausarzt», sagt sie.

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«Alle zwei Jahre werden wir Automobilisten zur medizinischen Kontrolle aufgeboten», schreibt Johann (76). Diese Regelung gilt für Senioren ab 75 Jahren. Das findet er aus zwei Gründen diskriminierend: «Die ärztlichen Untersuche müssen wir mit der kargen AHV selber berappen. Ausserdem sind nur wir Schweizer betroffen. Alle Durchreisenden fahren ohne Schikanen durch unser Land.»

Geldsorgen plagen auch Paul (78): «Wenn ich sehe, wie meine Frau und ich mit 3700 Franken leben müssen, wird mir schlecht. Meistens bleiben uns, wenn alles bezahlt ist, knapp 700 Franken pro Monat.»

«Die Alten tun viel für die Jungen»

Doch nicht alle Zuschriften schlagen Alarm. Vereinzelt erreichten uns auch gute Erfahrungen. Wie die von Odette (74). Ihr wurde mit 59 Jahren gekündigt, aber sie fand ein Jahr später wieder eine Anstellung. Nebenher leistete sie immer Freiwilligenarbeit in Vereinen und Vorständen. «Heute gehe ich einmal wöchentlich einen halben Tag in den Kindergarten», erzählt sie. Es ist ein Generationenprojekt der Pro Senectute.

Für Caroline (71) ist eines klar: «Es liegt in der Verantwortung der Medien, nicht dauernd den Graben zwischen jung und alt herbeizureden.» Sie erlebe die jüngeren Menschen im Grossen und Ganzen als freundlich und hilfsbereit. Es sei falsch, dass die Alten nur viel kosten und unnütz sind. «Es gilt, zu zeigen, dass die Alten viel für die Jungen tun. Der Wert eines Menschen liegt nicht nur in der Leistung.»

Haben Sie auch schon die Altersdiskriminierung gespürt – oder sehen Sie das ganz anders? Erzählen Sie uns davon in der Kommentarspalte.

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Korrektur: In einer älteren Version war das Zitat zur medizinischen Kontrolle der Autofahrer unklar formuliert. Wir haben dies leicht angepasst, damit deutlich wird, dass Durchreisende/Touristen gemeint sind.

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