#aufbruch mit Patrizia Laeri
Zeitphänomen Altershass

«Ich fühle mich wie entsorgt, wertlos, als wäre ich der Welt lästig geworden.» Das hat meine 76-jährige Mutter letzthin leise, aber so eindringlich gesagt, dass ich erschrocken bin. Sie müssen wissen, dass sie Humor hat und selber mal gern einen Alterswitz reisst.
Publiziert: 29.10.2019 um 23:30 Uhr
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Aktualisiert: 31.10.2019 um 08:21 Uhr
Patrizia Laeri, SRF-Wirtschaftsredaktorin und Moderatorin.
Foto: Thomas Buchwalder
Patrizia Laeri

«Ja weisst du denn nicht, dass wir auf eure Kosten leben, im Rentenschlaraffenland, dass wir schuld sind am Klimawandel, am Kollaps des Gesundheitssystems und unproduktiv noch obendrein?», fragt sie mich herausfordernd. Irgendwie fühl ich mich ertappt.

Ich stelle schnell fest: Solche Vorurteile gegenüber Älteren sind sozial am meisten akzeptiert auf unserem Planeten. Altersdiskriminierung gilt als noch normaler als Sexismus und Rassismus. Das hat die Weltgesundheitsorganisation untersucht. Sie ist bereits derart alarmiert, dass sie selber forscht und Kampagnen fährt. Zur Altersdiskriminierung gibt es noch viel zu wenige Daten. Alle Studien auf der Welt zeigen, dass 48 bis 91 Prozent der reiferen Menschen Altersdiskriminierung erleben. Und schlimmer noch, dass 50 bis 98 Prozent der Jüngeren zugeben, Ältere negativ zu sehen oder zu behandeln.

Ältere Menschen leisten viel Freiwilligenarbeit

Es ist also höchste Zeit, mit Mythen aufzuräumen. Ältere leisten beispielsweise viel mehr Pflegearbeit als sie selber erhalten. Sie kümmern sich intensiv um Enkel, Kinder und Betagte. Sie erhöhen damit den Wohlstand jüngerer Menschen und ermöglichen Eltern, berufstätig zu sein. Viele Menschen arbeiten also auch nach 65 weiter, leisten Freiwilligen- und eben auch Pflegearbeit. Reifere Menschen sind keineswegs unproduktiv. Ältere Mitarbeiter sind gar motivierter als jüngere, wie eine Studie der Beratungsfirma Deloitte zeigt. Sie sind zudem überdurchschnittlich qualifiziert.

Gerade viele digitale Firmen und ihrer Teenage-Belegschaften scheinen dies komplett auszublenden. Sie haben auch vergessen, dass es gut wäre, Produkte, Werbung, Inhalte auch von denen gestalten zu lassen, die sie ansprechen wollen, nämlich von älteren Menschen. Auch viele Senioren sind digital, manche Grosseltern nutzen Apps und soziale Medien so selbstverständlich wie ihre Enkel. Es kann schlicht nicht sein, dass ich an Digital-Konferenzen mittlerweile bereits die Älteste bin.

Nicht nur Technologiefirmen, sondern auch Banken haben die jüngsten Mitarbeiter aller Branchen. Doch gerade Finanzdienste fragen vor allem ältere Menschen nach. Warum werden Sie nicht auch von solchen beraten? Warum werden diese Produkte nicht auch von älteren Angestellten weiterentwickelt und vertrieben? Sie verstehen diese Kundengruppe am besten. Sie sind auch am glaubwürdigsten. Sie überblicken Hochs und Tiefs der Märkte am längsten und kennen die Risiken.

Altersdiskriminierung beginnt schon ab 36 Jahren

Trotzdem diskriminieren viele Firmen Ältere bewusst. IBM hat in den letzten Jahren 100'000 ältere Mitarbeiter entlassen und durch Millennials ersetzt, um so cool wie Amazon und Google zu wirken. Sammelklagen gegen den Technologie-Konzern und andere Firmen laufen. Hunderte Arbeitgeber in den USA haben ihre Facebook- und Linkedin-Inserate nur bei Nutzerinnen unter 36 aufgeschaltet und damit bereits Bewerber ab mittlerem Alter ausgeschlossen. Altersdiskriminierung beginnt also ab 36 Jahren.

In der Schweiz läuft es nicht besser. Das Seco hat schon Alarm geschlagen. Kantonale Arbeitsbehörden melden vermehrt solche Anti-Senioren-Algorithmen. Die Firmen rekrutieren mit Computerprogrammen. Deren Filter sortieren Ältere automatisch aus. Die Bewerberinnen mögen perfekt qualifiziert sein, sie haben dadurch keine Chance auf ein Vorstellungsgespräch. Wenn Menschen systematisch ausgeschlossen werden, läuft etwas gehörig schief. Wie sich dies auf Finanzen und Leben auswirken kann, zeigen neue Zahlen eindrücklich: bereits ab 46 steigt das Risiko, keinen Job mehr zu finden und Sozialhilfe zu benötigen.

Die OECD hat die Schweiz schon 2014 davor gewarnt, Ältere zu benachteiligen. Andere Länder wie Grossbritannien und Frankreich haben Altersdiskriminierung bereits gesetzlich verboten. Hierzulande fordert dies eine aktuelle Volksinitiative. Viele Länder haben auch nationale Strategien lanciert, um die Benachteiligung Älterer in der Arbeitswelt zu bekämpfen. Das zwingt Firmen zum Umdenken.

Altersforscher wie Christian Maggiori empfehlen, bereits bei den Kindern anzufangen. Programme, die verschiedene Generationen zusammenbringen, zeitgleich Wissen zum Altern vermitteln und Missverständnisse klären sind besonders wirkungsvoll. Deswegen sei es so wichtig, dass ältere Menschen in Schulen mitwirken. Experten halten es für entscheidend, dass Anti-Altersdiskriminierung auch im Unterricht vermittelt wird. Bereits Vierjährige bilden Vorurteile.

Jedes Mal, wenn wir ältere Menschen treffen, sollten wir uns bewusst sein, dass wir unserem zukünftigen Ich begegnen. Es ist eigentlich so einfach: Ältere – das sind wir selber. Also seid gut zu euch selber. #aufbruch

Patrizia Laeri (42) ist Wirtschaftsredaktorin und -moderatorin von «SRF Börse» und «Eco» sowie Beirätin im Institute for Digital Business der HWZ. Sie schreibt jeden zweiten Mittwoch für BLICK.

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