VW e-Golf und Hyundai Ioniq Electric im Reichweiten-Test
Reicht der Strom?

VW verspricht für den e-Golf mit vollem Akku eine Reichweite von 300 Kilometern, Hyundai für den Ioniq Electric 280. Leere Versprechungen? SonntagsBlick will es genau wissen und startet mit beiden E-Autos zur über 230 Kilometer langen Test-Tour.
Publiziert: 20.08.2017 um 20:47 Uhr
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Aktualisiert: 26.11.2018 um 16:34 Uhr
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BLICK testet die Reichweite des VW e-Golf (l.) und des Hyundai Ioniq Electric im Alltag.
Foto: Timothy Pfannkuchen
Raoul Schwinnen

Vor dem Start zu unserer Testrunde diskutieren wir eifrig und einigen uns dann folgendermassen: Wir wollen weder eine Sparfahrt noch einen Reichweitenrekord. Vielmehr möchten wir im Alltag unter realen Bedingungen «erfahren», ob die Angaben der Hersteller bei der Reichweite ihrer Elektroautos genau so realitätsfremd sind wie ihre Versprechen beim Verbrauch von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren.

VW e-Golf

Antrieb: Elektromotor, 100 kW/136 PS, 290 Nm@1/min, Akku: Li-Io 35,8 kWh, 1-Gang-Automat, Front
Fahrleistungen: 0-100 km/h 9,6 s, Spitze 150 km/h
Masse: Länge/Breite/Höhe 4,27/1,80/1,48 m, Gewicht 1540 kg, Laderaum 341 bis 1231 Liter
Umwelt: Reichweite Werk/Test 300/289 km, Werks-/Testverbrauch 11,9/12,4 kWh/100 km = 0/0 g/km CO2, Energieeffizienz A
Listenpreis: Basis ab 40'200 Franken

Antrieb: Elektromotor, 100 kW/136 PS, 290 Nm@1/min, Akku: Li-Io 35,8 kWh, 1-Gang-Automat, Front
Fahrleistungen: 0-100 km/h 9,6 s, Spitze 150 km/h
Masse: Länge/Breite/Höhe 4,27/1,80/1,48 m, Gewicht 1540 kg, Laderaum 341 bis 1231 Liter
Umwelt: Reichweite Werk/Test 300/289 km, Werks-/Testverbrauch 11,9/12,4 kWh/100 km = 0/0 g/km CO2, Energieeffizienz A
Listenpreis: Basis ab 40'200 Franken

«Reichweitenangst»

So fahren wir an einem bewölkten Freitag gegen Mittag bei 21 Grad Aussentemperatur mit beiden voll aufgeladenen E-Autos bei unserem Redaktionsstandort in Tagelswangen ZH los. Klima-, bzw. Heizung auf «Auto» und 21,5 Grad programmiert. Beim Betätigen des Startknopfs weist das Display im e-Golf statt der versprochenen 300 «nur» eine Reichweite von 272 Kilometer, im Ioniq Electric statt 280 gar nur 220 Kilometer aus. Das mindert unsere «Reichweitenangst» für die 233,5 Kilometer lange Testrunde natürlich nicht gerade, obwohl wir wissen, dass sich dieser Wert im Display aus der Fahrweise der «Vorfahrer» errechnet.

Die Blick-Autoredaktoren Raoul Schwinnen (l.) und Andreas Engel wollen es wissen: Wie weit kommen die Stromer VW e-Golf (l.) und Hyundai Ioniq Electric bei normaler Fahrweise, bis sie wieder an die Steckdose müssen.
Foto: Timothy Pfannkuchen

Bremsen und laden

Wir fahren nun also die ersten Kilometer über Land bis zum Autobahn-Zubringer. Auf diesem Streckenabschnitt bewege ich den e-Golf im Rekuperationsmodus. Das bedeutet: Nehme ich den Fuss vom Gaspedal, beginnt das Fahrzeug gleichzeitig Energie in den Akku zu laden. Vorteil: Mit vorausschauender Fahrweise brauche ich kaum das Bremspedal zu betätigen und verlängere parallel die Reichweite. Nachteil: der e-Golf rollt oder «segelt» weniger lange. Ohne dass ich es will, ertappe ich mich dabei, wie ich mit einem Auge voraus – und mit dem anderen aufs Display blicke, um so stets im möglichst idealen Roll- und Rekuperationsbereich zu fahren.

Hyundai Ioniq Electric

Antrieb: Elektromotor, 88 kW/120 PS, 295 Nm@1/min, Akku: Li-Io 28 kWh, 1-Gang-Automat, Front
Fahrleistungen: 0-100 km/h 9,9 s, Spitze 165 km/h
Masse: Länge/Breite/Höhe 4,47/1,82/1,45 m, Gewicht 1550 kg, Laderaum 455 bis 1410 Liter
Umwelt: Reichweite Werk/Test 280/265 km, Werks-/Testverbrauch 10,0/10,6 kWh/100 km = 0/0 g/km CO2, Energieeffizienz A
Listenpreis: Basis ab 36'990 Franken

Antrieb: Elektromotor, 88 kW/120 PS, 295 Nm@1/min, Akku: Li-Io 28 kWh, 1-Gang-Automat, Front
Fahrleistungen: 0-100 km/h 9,9 s, Spitze 165 km/h
Masse: Länge/Breite/Höhe 4,47/1,82/1,45 m, Gewicht 1550 kg, Laderaum 455 bis 1410 Liter
Umwelt: Reichweite Werk/Test 280/265 km, Werks-/Testverbrauch 10,0/10,6 kWh/100 km = 0/0 g/km CO2, Energieeffizienz A
Listenpreis: Basis ab 36'990 Franken

Mehr Rollen, weniger laden

Meinem Redaktionskollegen Andreas Engel im Hyundai gehts offenbar ähnlich. Im Gegensatz zum Golf mit nur einer Rekuperationsstufe kann er im Ioniq am Lenkrad zwischen drei verschiedenen Rekuperationsstärken und einer Gleitstufe wählen. Und offenbar nutzt er diese Möglichkeit und schaltet fleissig zwischen den verschiedenen Modi hin und her. Auf der Autobahn fädeln wir uns in den rollenden Verkehr Richtung Gubrist und Innerschweiz ein und versuchen, jeweils die maximal erlaubte Höchstgeschwindigkeit auszunutzen. Um weniger Rollwiderstand zu erzeugen, habe ich im e-Golf am Getriebehebel in der Mittelkonsole mittlerweile von «B» (Rekuperation) wieder auf «D» (Drive) umgeschaltet. Ich staune, wie viel leichter der Golf nun rollt und dabei bei minimalstem Einsatz des Gaspedals das Tempo konstant halten kann.

Die BLICK-Autoredaktoren mit ihren Stromern beim Stopp am Telldenkmal in Altdorf UR.
Foto: Jürg A. Stettler

Die Angst wird kleiner

Bei Rotkreuz ZG verlassen wir die Autobahn, um fortan wieder über Land zu fahren. Und erfreut stelle ich fest, dass die Reichweite im e-Golf nicht proportional zur zurückgelegten Distanz schmilzt. Das beruhigt mich, vor allem aber meinen Kollegen Engel im Hyundai, der genau dasselbe feststellt – und im Kopf bereits überschlagsmässig rechnet, dass er nun mit der noch angezeigten Restreichweite und den noch zurückzulegenden Kilometern unsere Runde eigentlich knapp schaffen sollte. Das gibt Appetit – und so machen wir in Altdorf UR beim Telldenkmal eine kurze Rast. Zuversichtlich, dass wir wohl weder auf unsere im Kofferraum mitgeführten Ladekabel noch auf das für den Notfall als Abschlepphilfe mitfahrende Begleitfahrzeug zurückgreifen müssen, setzen wir unsere Tour fort.

Schwitzend über den Sattel

Auf der Axenstrasse entlang dem Vierwaldstättersee fahren wir nach Brunnen SZ und anschliessend weiter über den Sattel. In der Steigung schmilzt die verbleibende Reichweite zwar wie Schnee an der Sonne, doch schon runter Richtung Rothenthurm SZ können wir beide wieder einiges an Energie in die Akkus unserer Stromer rekuperieren. In Wädenswil ZH, mit Blick auf den Zürichsee, machen wir nochmals einen kurzen Stopp. Mittlerweile sind wir sicher, dass wir die Runde locker schaffen. Und so fahren wir guten Mutes weiter über den Rapperswiler-Damm und durchs Zürcher Oberland – zum Schluss gar nochmals ein kleines Stück über die Autobahn – zu unserem Ausgangspunkt in Tagelswangen zurück.

Akkuleistung lässt mit den Jahren nach

Was Experten vermuteten, belegt der deutsche ADAC nun mit einem Langzeit-Test. Wie beim Handy oder Laptop verlieren auch Akkus von Elektroautos trotz intelligenter Batterie-Steuerung mit den Jahren an Kapazitätsleistung. So fuhr der ADAC während fünf Jahren und rund 80'000 Kilometern einen Nissan Leaf der ersten Generation. Fazit der ADAC-Tester: «Waren anfangs noch Fahrten von bis zu 113 Kilometern ohne Nachladen möglich, schrumpfte die tatsächliche Reichweite am Ende des Tests auf knapp 90 Kilometer.» Und die Messungen im Labor ergaben zu Beginn eine Reichweite von 105 Kilometern, am Schluss aber nur noch 93. Somit lag der Kapazitätsverlust des Akkus nach fünf Jahren bei knapp elf Prozent.

Was Experten vermuteten, belegt der deutsche ADAC nun mit einem Langzeit-Test. Wie beim Handy oder Laptop verlieren auch Akkus von Elektroautos trotz intelligenter Batterie-Steuerung mit den Jahren an Kapazitätsleistung. So fuhr der ADAC während fünf Jahren und rund 80'000 Kilometern einen Nissan Leaf der ersten Generation. Fazit der ADAC-Tester: «Waren anfangs noch Fahrten von bis zu 113 Kilometern ohne Nachladen möglich, schrumpfte die tatsächliche Reichweite am Ende des Tests auf knapp 90 Kilometer.» Und die Messungen im Labor ergaben zu Beginn eine Reichweite von 105 Kilometern, am Schluss aber nur noch 93. Somit lag der Kapazitätsverlust des Akkus nach fünf Jahren bei knapp elf Prozent.

Vertrauen in die Reichweite

Dort – nach genau 233,5 gefahrenen Kilometern – ziehen wir Bilanz. Der Hyundai Ioniq Electric weist im Display noch eine Restreichweite von 31 Kilometern, der VW e-Golf noch 55 Kilometer aus. Addieren wir, schafft der Hyundai im Alltag 265 und der VW 289 Kilometer. Dies überrascht uns positiv! Beträgt die Abweichung im Alltag zu den Angaben von Hyundai doch nur gerade 15 Kilometer bzw. 5,4 Prozent und bei VW gar nur 11 Kilometer bzw. 3,7 Prozent. Es macht also fast den Anschein, als würden die Hersteller von Elektroautos nicht nur mit der zunehmenden Kapazität ihrer Akkus, sondern auch mit ihren Verbrauchs- bzw. Reichweitenversprechen in ihren Prospekten alltagstauglicher.

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