Mobilitätsforscher über automatisiertes Fahren
«Wir sind in der Schweiz noch ganz am Anfang»

Im Zürcher Furttal fahren bald Robotertaxis mit chinesischer Technologie. Experte Thomas Sauter-Servaes sieht darin eine Chance, die Abhängigkeit vom Privatauto zu verringern und den ÖV zu stärken.
Publiziert: 27.01.2025 um 16:22 Uhr
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Aktualisiert: 27.01.2025 um 21:36 Uhr
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Thomas Sauter-Servaes forscht an der ZHAW zum Thema Mobilität.
Foto: Gian Marco Castelberg

Auf einen Blick

  • Schweiz am Anfang beim automatisierten Fahren, USA und China führend
  • Automatisierter On-Demand-Verkehr kann ÖV-Zugang in ländlichen Gebieten verbessern
  • Pilotprojekt zu automatisiertem Fahren im Zürcher Furttal
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sara BelgeriRedaktorin

Herr Sauter-Servaes, wo steht die Schweiz im internationalen Vergleich punkto automatisiertes Fahren?
Die fortgeschrittensten Anwendungen automatisierten Fahrens finden sich aktuell nicht in Europa, sondern in den USA und China. In San Francisco führt die Google-Schwesterfirma Waymo inzwischen wöchentlich über 150'000 bezahlte Taxifahrten ohne Taxifahrer durch. Die Flotte des chinesischen Anbieters Apollo Go in Wuhan wird auf über 400 Robotertaxis beziffert. Im Vergleich dazu sind wir in der Schweiz noch ganz am Anfang einer kommerziellen Umsetzung der neuen Technologie.

Bald startet im Zürcher Furttal ein Pilotprojekt mit Robotertaxis und auch in der Vergangenheit gab es hierzulande bereits Versuche zu automatisiertem Fahren. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Mit den bisherigen Projekten konnten bereits wichtige Grundlagen für den automatisierten Personen- und Güterverkehr in der Schweiz gelegt werden. Mit dem Angebot in Furttal wird nun eine neue Qualitätsstufe erreicht. Wurden in früheren Projekten noch teils wenig ausgereifte Systeme getestet, kommen nun etablierte Fahrzeuge und das Know-how eines der weltweit führenden Anbieter von automatisierten Taxiservices zum Einsatz.

Sie sprechen vom chinesischen Anbieter WeRide. Wie sicher beurteilen Sie Fahrzeuge, die dessen Technologie nutzen?
Gemäss der öffentlich verfügbaren Statistiken haben die führenden Technologieanbieter inzwischen ein sehr hohes Sicherheitsniveau erreicht. WeRide ist nicht nur in China, sondern beispielsweise auch in Singapur, den Vereinigten Arabischen Emiraten und den USA aktiv, ohne mir bekannte grössere Zwischenfälle. Kommt hinzu: Wir überschätzen gerne die menschlichen Fahrkünste. Eine Datenauswertung von SwissRe attestierte vor kurzem dem System des Wettbewerbers Waymo eine sicherere Fahrweise als dem durchschnittlichen menschlichen Fahrer. 

Kann der öffentliche Verkehr durch selbstfahrende Angebote attraktiver werden als der Privatverkehr?
Ja, in der Zukunft könnten geteilte Roboterfahrzeuge sogar die Notwendigkeit privater Autos komplett infrage stellen. Warum soll ich mir noch ein eigenes kostenintensives Privatauto leisten, wenn Busse und Bahnen in Kombination mit geteilten automatisierten Fahrzeugen jederzeit alle meine Mobilitätsbedürfnisse bequem abdecken? Das kann ein entscheidender Schritt zu einem bedeutend ressourcenschonenderen und flächensparenden Verkehrssystem sein.

Wäre das nachhaltiger?
Nur, wenn wir dieses neue Verkehrsmittel entsprechend gestalten. Automatisches Fahren wird die Mobilitätskosten zukünftig radikal senken. Dies schafft einen hohen Anreiz für zusätzliche oder längere Fahrten. Insofern sind Robotaxis nur dann ein Beitrag zu einem zukunftsfähigen Verkehrssystem, wenn sie möglichst viele Fahrtwünsche bündeln, den privaten Autobesitz reduzieren und die Anzahl der gefahrenen Fahrzeugkilometer deutlich senken. Das würde in den Städten zugleich dringend benötigte Flächen für Velofahrende und Fussgängerinnen freispielen.

Werden wir alle irgendwann nur noch mit selbstfahrenden Autos unterwegs sein?
Hoffentlich nicht! Auch in Zukunft sollten wir vor allem unsere eigene Muskelkraft zur Fortbewegung nutzen. Das fördert die Gesundheit und den sozialen Kontakt zu unseren Mitmenschen. Der Umstieg auf noch so intelligente rollende Blechbüchsen nimmt uns nicht die Aufgabe ab, darüber nachzudenken, wie wir unser Mobilitätssystem menschenfreundlicher und damit unsere Lebensräume attraktiver gestalten können. 

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