Leapmotor bald in der Schweiz
Europa-Autoriese will China-Autos verkaufen

Stellantis bringt die ersten chinesischen Leapmotor-Modelle nach Europa – und konkurrenziert damit die eigenen Konzernmarken. Hinter der Übernahme des chinesischen Start-ups steckt knallhartes Kalkül. In der Schweiz übernimmt die Emil-Frey-Gruppe den Import.
Publiziert: 09.11.2024 um 15:00 Uhr
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Aktualisiert: 09.11.2024 um 15:11 Uhr
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Am 26. Oktober 2023 übernahm Stellantis mit CEO Carlos Tavares (l.) die Aktienmehrheit des chinesischen Start-ups Leapmotor mit Gründer Zhu Jiangming.
Foto: ZVG.
Wolfgang Gomoll und Raoul Schwinnen

Carlos Tavares macht keine Geschenke. Der Chef des Autoriesen Stellantis wurde zwar am letzten Mittwoch 66 Jahre alt, er bleibt aber auch mit zunehmenden Jahren bei seiner Linie der klaren Worte und kompromisslosen Entscheidungen. Profitabilität steht für ihn an erster Stelle. Und er ist bereit, dafür heilige Kühe zu schlachten. Wenn eine Marke nicht die geforderte Rendite bringt, könnte das ihr Ende bedeuten (Aus für Maserati, Alfa und DS?): «Wir können es uns nicht leisten, Marken zu haben, die nichts verdienen. Wenn sie kein Geld einbringen, werden wir sie schliessen», erklärte der Portugiese kürzlich, als er einen drastischen Gewinneinbruch seines Konzerns verkünden musste.

Trotzdem kommt jetzt noch eine neue Marke hinzu – Leapmotor. Ab dem vierten Quartal 2024 sollen die Stromer der chinesischen Marke auch in die Schweiz kommen. In Europa wird ein Joint-Venture von Leapmotor und Stellantis mit Sitz in Amsterdam (NL) das Geschäft aufbauen. Importeur für die Schweiz ist die Emil-Frey-Gruppe, wie soeben bekannt wurde. Die chinesischen Stromer werden neben den Stellantis-Marken das Angebot vergrössern. Aber was will Stellantis mit einer fünfzehnten Marke?

Schliesslich ist der Newcomer nicht der einzige chinesische Autobauer, der mit grossen Eroberungszielen nach Europa kommt. Andere hatten ähnliche Ambitionen und haben sich dabei bereits eine blutige Nase geholt. Great Wall Motor (GWM) zum Beispiel hat zwar weiterhin Händler, aber bereits die Reissleine gezogen und das deutsche Hauptquartier wieder geschlossen. Auch die Verkäufe des China-Giganten BYD kommen in Europa trotz grossem Werbe-Engagement an der Fussball-EM in Deutschland nicht recht auf Touren. Zudem bremst der Elektromobilitäts-Boom bei uns ins Europa gerade spürbar ab.

Ein kleiner Fisch in China

Leapmotor ist ein vergleichsweise kleiner Fisch unter den chinesischen Elektroautoherstellern. So haben die Chinesen im Juli erst das 400’000ste Fahrzeug seit ihrer Gründung 2015 ausgeliefert. Zahlen, bei denen BYD-Manager nur müde lächeln. Dennoch hat sich Carlos Tavares seine Investition von 1,5 Milliarden Euro in Leapmotor sicher gut überlegt. Schliesslich kann er sich nicht noch einen weiteren Klotz am Bein leisten. Die Pläne mit der neuen China-Tochter sind ehrgeizig. Los gehts neben der Schweiz in Frankreich, Italien, Deutschland, den Niederlanden, Spanien, Portugal, Belgien, Griechenland und Rumänien. Bis Ende Jahr sollen 200 Verkaufsstellen in Europa aufgebaut sein, bis 2026 sollen es bereits 500 werden. Das ist nur möglich, indem die Chinesen das Stellantis-Vertriebsnetz nutzen.

Interessant wird es, wenn man sich die beiden Modelle anschaut, mit denen Leapmotor in Europa erfolgreich sein will. Der 4,73 Meter lange Elektro-SUV C10 positioniert sich im Revier des Tesla Model Y, während der T03 in der noch wenig bespielten Elektro-Kleinwagenklasse unter 20’000 Franken gegen den Dacia Spring oder den bei uns ab 2025 startenden BYD Seagull antritt. So weit, so gut. Doch im Stellantis-Konzern gibts Marken wie Citroën (mit dem ë-C3) oder Fiat (mit dem Panda), die ebenfalls im Einsteiger-Segment erfolgreich sein wollen. Ganz zu schweigen von Opel und Peugeot. Es könnte also zur Kannibalisierung im Konzern kommen. Wie und ob die China-Stromer in der Schweiz der Konkurrenz schädigen, wird erst klar, wenn Emil Frey die genauen Preise angibt.

Keine Bedrohung, zusätzliche Chance

Darauf angesprochen, weicht die Stellantis-Kommunikationsabteilung elegant aus: «Die Elektrofahrzeuge von Leapmotor haben im Vergleich zu denen von Stellantis in Europa eine andere Marktpositionierung. Leapmotor richtet sich vor allem an junge und technikaffine Verbraucherinnen und Verbraucher, die Wert auf intelligente Funktionen, Konnektivität und Personalisierung in ihren Fahrzeugen legen.» Daher sei Leapmotor keine Bedrohung, sondern eine zusätzliche Chance, heissts bei Stellantis. Bis 2027 sieht der Leapmotor-Produktplan für Europa je zwei weitere SUVs und Fliessheckmodelle vor.

Ob diese Pläne tatsächlich in die Realität umgesetzt werden, bleibt abzuwarten. Doch Carlos Tavares weiss, dass ein grosser Autokonzern wie Stellantis nur dann langfristig erfolgreich sein kann, wenn er in allen wichtigen Regionen konkurrenzfähig unterwegs ist. «Mit der strategischen Investition in Leapmotor können wir von der Wettbewerbsfähigkeit der Marke profitieren – sowohl in China als auch andernorts». Diese Antwort auf unsere Frage nach dem Sinn der Investition in den chinesischen Autobauer zeigt, was Stellantis und Tavares mit dem China-Startup tatsächlich vorhaben: Man will den Konzern in Zukunftsmärkten wie Südostasien, Indien oder Südamerika in Stellung bringen – und dazu das chinesische Knowhow nutzen.

Bewährte Taktik

Diese Taktik wendet der Stellantis-Boss übrigens nicht zum ersten Mal an. Als 2017 der damals noch französische PSA-Konzern (Peugeot Citroën) Opel übernahm, sicherte sich Carlos Tavares so auch das Know-how der deutschen Ingenieure und nutzte dies auch für andere Konzernmarken. Ähnlich wie damals bei Opel verfügen auch die Chinesen von Leapmotor bei Infotainment und Konnektivität über Kenntnisse, die jeder Autohersteller händeringend sucht und die konzernweit und markenübergreifend genutzt werden können.

So gesehen, kehren sich die Verhältnisse gerade um: Waren bisher bei westlich-chinesischen Joint-Ventures in China stets die ausländischen Partner für die fortschrittliche Technologie zuständig und die Einheimischen für effiziente Produktion und Vertrieb, werden jetzt die chinesischen Elektro- und Infotainmentspezialisten zu den führenden Technologiepartnern.

Persönlich Carlos Tavares

Carlos Tavares, geboren 1958, wuchs in Lissabon als Sohn einer Französischlehrerin auf und studierte an der Ecole Centrale Paris, einer der renommiertesten Ingenieurhochschulen Frankreichs. Der Portugiese arbeitete zunächst fünf Jahre bei Nissan in den USA, danach war er 32 Jahre im Topmanagement bei Renault. Ab 2014 war er Vorstandsvorsitzender von PSA, Frankreichs grösstem Autohersteller – und seit der 2021 vollzogenen Fusion mit Fiat Chrysler Automobiles FCA ist er Vorstandsvorsitzender des daraus entstandenen Riesenkonzerns Stellantis mit 14 Marken (Abarth, Alfa Romeo, Chrysler, Citroën, Dodge, DS Automobiles, Fiat, Jeep, Lancia, Maserati, Opel, Peugeot, Ram). Tavares hat drei Kinder, vier Enkelkinder, ist Winzer, Hobbyrennfahrer und sammelt Oldtimer.

Carlos Tavares, geboren 1958, wuchs in Lissabon als Sohn einer Französischlehrerin auf und studierte an der Ecole Centrale Paris, einer der renommiertesten Ingenieurhochschulen Frankreichs. Der Portugiese arbeitete zunächst fünf Jahre bei Nissan in den USA, danach war er 32 Jahre im Topmanagement bei Renault. Ab 2014 war er Vorstandsvorsitzender von PSA, Frankreichs grösstem Autohersteller – und seit der 2021 vollzogenen Fusion mit Fiat Chrysler Automobiles FCA ist er Vorstandsvorsitzender des daraus entstandenen Riesenkonzerns Stellantis mit 14 Marken (Abarth, Alfa Romeo, Chrysler, Citroën, Dodge, DS Automobiles, Fiat, Jeep, Lancia, Maserati, Opel, Peugeot, Ram). Tavares hat drei Kinder, vier Enkelkinder, ist Winzer, Hobbyrennfahrer und sammelt Oldtimer.

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