Jim Ratcliffe (68) ist keiner, der lange fackelt. Der Ineos-Inhaber war 2005 gerade auf einer Mountainbike-Tour in Schottland, als ihn der Finanzchef des britischen Ölriesen BP anrief und drängte, sein Angebot für BPs Petro-Chemiesparte auf neun Milliarden Dollar zu erhöhen. Obwohl er mit seinem Bike wortwörtlich im Schlamm steckte, sagte er kurzentschlossen zu. Der Deal zahlte sich aus. Der inzwischen zum Ritter geschlagene Ratcliffe wurde quasi über Nacht zu einem Big Player und zählt mittlerweile zu den reichsten Briten.
Ratcliffe ist ein knallharter Geschäftsmann mit bisweilen rustikalen Verhandlungsmethoden. Und er hat einen Sinn für Abenteuer. Sei es auf Safaris und Biketouren, bei Marathons oder bei geschäftlichen Ausflügen in die Welt des Sports. So fuhr das Ineos-Profi-Rad-Team erfolgreich an der Tour de France, und auch beim prestigeträchtigen America's Cup will Ineos an der Spitze mitsegeln. Natürlich fehlt auch Fussball nicht im Bauchladen des sportverrückten Briten: Super-League-Aufsteiger Lausanne-Sport gehört ebenso zum Portfolio wie der französische Ligue-1-Verein OGC Nizza.
Smart-Fabrik und F1-Team
Dies alles erinnert an Dietrich Mateschitz (76), der seine Milliarden mit Energy-Drinks machte. Und ähnlich wie der Red-Bull-Inhaber zeigt sich auch Sir Jim Ratcliffe hartnäckig, wenn er ein Projekt im Visier hat. Schon seit geraumer Zeit will er den klassischen Land Rover Defender als Ineos Grenadier in der Smart-Fabrik im elsässischen Hambach bauen lassen. Die Gespräche mit Daimler verzögerten sich aber, weil Ratcliffe zusätzlich zum Erwerb der Hambacher Fertigungsstätte auch beim erfolgreichen Mercedes-F1-Team einsteigen wollte. Nach zähen Verhandlungen erreichte er schliesslich sein Ziel. Er ist nun mit Teamchef Toto Wolff (48), Mercedes und seiner Firma Ineos gleichberechtigter Partner.
Grenadier: Hommage an Defender
In Hambach will Ineos Automotive neben der weiterlaufenden Smart-Produktion künftig den Ineos Grenadier bauen. Im Prinzip eine modernere Version des Land Rover Defender, den Ratcliffe unter diesem Namen nicht bauen durfte. Die Motoren stammen von BMW, weitere Technik von Magna. Ende 2021 soll der Grenadier (der Name stammt übrigens vom Pub, in dem er die erste Skizze des Geländewagens anfertigte) auf den Markt kommen. «Der Hambach-Deal war eine einzigartige Gelegenheit, die wir uns einfach nicht entgehen lassen konnten», so der Ineos-Chef. «Wir übernehmen eine moderne Automobil-Fertigungsanlage mit einer Belegschaft auf Spitzenniveau.»
Kein Platz für Sentimentalitäten
Dass der Ineos Grenadier bald nahe der Schweizer Grenze vom Band rollt, ist ein harter Schlag für Bridgend im britischen South Wales, wo das Fahrzeug ursprünglich gebaut werden sollte. Doch in Jim Ratcliffes Welt ist kein Platz für patriotische Sentimentalitäten. Expertise, moderne Technik und Finanzen schlagen Heimatverbundenheit – so einfach ist das. Die Kritik aus seiner Heimat lässt denn auch nicht lange auf sich warten. Schliesslich war Ratcliffe offen für den Brexit eingetreten und verlässt die Insel jetzt mit dem Grenadier. Doch der Standort in Europa ist praktischer, um das Auto auf die wichtigen Märkte zu bringen, und vereinfacht die Zulieferketten und das Rekrutieren von weiteren gut ausgebildeten Mitarbeitern. Die 1300 Beschäftigten in Hambach haben den neuen Konditionen zugestimmt und erhalten im Gegenzug eine Job-Garantie für fünf Jahre.
Bald mit Wasserstoffantrieb
Und auch der nächste Schritt ist bereits gemacht. Unlängst einigten sich Hyundai und Ineos, dass die Koreaner den Wasserstoff für ihre Modelle vom britischen Unternehmen beziehen. Im Gegenzug dürfte Ineos Automotive Zugang zur Wasserstofftechnologie der Asiaten erhalten. Und so dürfte wohl bald auch ein Ineos Grenadier mit Wasserstoffantrieb im Elsass vom Band laufen. Diese Kooperation kommt nicht von ungefähr, ist Ineos doch Europas grösster Betreiber von Elektrolyse-Anlagen, die erneuerbare Energien nutzen, um Wasserstoff herzustellen. Der Konzern produziert zudem jährlich 300’000 Tonnen Wasserstoff, die quasi als Abfallprodukt aus seinen Chemiebetrieben abfallen. Also ein klassischer Win-Win-Deal. Typisch für Sir James Arthur Ratcliffe.