Interview mit Amag-CEO Helmut Ruhl
«Wir wollen vieles richtig machen»

Seit knapp einem Jahr lenkt der vormalige Finanzchef Helmut Ruhl als CEO die Amag-Gruppe. SonntagsBlick trifft den Chef des grössten Schweizer Auto-Unternehmens zum persönlichen Gespräch – natürlich mit Abstand und Schutzmaske.
Publiziert: 23.01.2022 um 06:02 Uhr
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Am Hauptsitz der Amag im zugerischen Cham ...
Foto: Zvg
Interivew Raoul Schwinnen, Fotos Stefan Bohrer

Herr Ruhl, unser Interview mit Maske und Abstand zeigt: Corona hat uns weiterhin voll im Griff. Hoffen wir, dass Sie das Virus nicht erwischt …
Helmut Ruhl: Ich bin zweimal geimpft und geboostert. Wichtig ist, dass ich niemanden anstecke. Aber im übertragenen Sinn hat es uns als Unternehmen schon erwischt. Nach einer ersten Verunsicherung erlangten wir dann eine Routine im Umgang mit der Pandemie. Gerade jetzt sehen wir innerhalb der Amag aber wieder sehr viele positive Corona-Fälle.

Wie denken Sie über den Corona-Kurs der Schweizer Regierung?
Ich schaue jeden Tag die Schweizer «Tagesschau» und auch jene im deutschen Fernsehen. Die Strategien und die Kommunikation beider Regierungen sind schon sehr unterschiedlich. Ich finde, der Bundesrat und auch die Kantone haben stets gut abgewogen zwischen Gesundheitsschutz und der Bedeutung der verhängten Massnahmen für Gesellschaft und Wirtschaft. Wir fanden meist einen gut schweizerischen Kompromiss.

Persönlich: Helmut Ruhl

Der in Franken aufgewachsene Deutsche Helmut Ruhl (55) war vor seinem Wechsel zur Amag in unterschiedlichen Positionen bei der Daimler AG tätig – unter anderem in Stuttgart, Prag, Schlieren und Peking. Im September 2017 startete Ruhl als CFO bei der Amag Group und übernahm am 1. März 2021 den CEO-Posten. Helmut Ruhl ist verheiratet, Vater von zwei Töchtern und lebt in Küssnacht am Rigi SZ. Der frühere Fussballer spielt heute Eishockey bei den Amag Lightnings, fährt gerne Ski und rudert oder joggt.

Der in Franken aufgewachsene Deutsche Helmut Ruhl (55) war vor seinem Wechsel zur Amag in unterschiedlichen Positionen bei der Daimler AG tätig – unter anderem in Stuttgart, Prag, Schlieren und Peking. Im September 2017 startete Ruhl als CFO bei der Amag Group und übernahm am 1. März 2021 den CEO-Posten. Helmut Ruhl ist verheiratet, Vater von zwei Töchtern und lebt in Küssnacht am Rigi SZ. Der frühere Fussballer spielt heute Eishockey bei den Amag Lightnings, fährt gerne Ski und rudert oder joggt.

Was hat die Amag aus Corona gelernt?
Dass wir uns auch mit den unwahrscheinlichsten Risiken auseinandersetzen müssen. Wir haben unser Risikomanagement angepasst. Zudem haben wir gelernt, uns als Organisation agil zu verhalten und unsere Prozesse zu digitalisieren. Wir sind relativ schnell auf Homeoffice umgestiegen, und es funktioniert gut.

Es ist nicht nur das Coronavirus, das Ihre Branche ausbremst, sondern auch der anhaltende Mangel an Elektronik-Bauteilen. Wie konnte es dazu kommen?
Das haben wir schon vor zwei Jahren erlebt, als selbst ein so einfaches Produkt wie Masken nicht verfügbar war. Wenn komplexe globale Lieferketten unterbrochen werden wegen Fabrikschliessungen aufgrund von Covid oder wegen eines Staus im Suezkanal, ist es nicht so einfach, diese wieder hochzufahren. Gleichzeitig explodierte während der Pandemie die Nachfrage nach digitalen Komponenten. Und im Vergleich zu den grossen Tech-Anbietern ist die Autobranche mit maximal zehn Prozent des Gesamtvolumens in diesem Bereich nur ein kleiner Abnehmer. Und wird entsprechend bedient.

Ist ein Ende absehbar?
Für 2022 gehen wir von schwierigen Verhältnissen im ersten Halbjahr aus und hoffen, dass es in der zweiten Jahreshälfte besser wird. 2023 sollten dann Teileverfügbarkeit und Belieferung wieder zuverlässig funktionieren.

Wie halten Sie Kunden bei Laune, die lange auf ihren Neuwagen warten?
Es ist ja ein Branchen- und kein Amag-Problem. Wir versuchen, unsere Kundinnen und Kunden mobil zu halten. Beispielsweise indem wir ihnen eine einfache Verlängerung des Leasingvertrags anbieten. Zudem haben wir aktuell mehr als 1000 Autos an Kunden vergeben, damit sie während der Wartezeit auf ihr neues Auto mobil bleiben. Weil wir derzeit schlicht nicht wissen, wann welche Autos produziert werden, können wir auch deren Übergabe nicht exakt planen. Zum Glück zeigen die meisten Käuferinnen und Käufer Verständnis – und dafür möchte ich mich bedanken.

Wie lange sind aktuell die Lieferfristen?
Je nach Modell ganz unterschiedlich. Aber fünf bis sechs Monate können es bei gefragten Modellen schon sein.

Ein weiteres Dauerthema sind die laufend strengeren CO₂-Grenzwerte. Zahlt die Amag auch für 2021 wieder eine happige CO₂-Busse?
Mir liegen die endgültigen Zahlen noch nicht vor. Aber wir haben uns sicher massiv verbessert. Unsere Elektrifizierungs- und Klimastrategie sowie die Anstrengungen der ganzen Organisation greifen – vom Hersteller über Import bis zu den Handelsorganisationen. Alle unsere Marken bringen deutlich mehr Batterieautos auf den Markt. Und so werden wir wohl sehr nahe an die gesetzten Ziele kommen. Ob es die VW-Gruppe ganz schaffen wird, werden wir sehen.

Die politischen CO₂-Vorschriften verfehlen ihre Wirkung nicht. Es kommen mehr umweltfreundliche Autos auf den Markt. Warum sind Sie gegen die CO₂-Grenzwerte?
Wir sind nicht gegen die CO₂-Vorschriften. Sie müssten aber vorausschauend und planbar sein und nicht kurzfristig geändert werden wie eben geschehen. Es gibt klare Zielwerte der EU, welche die Schweiz übernommen hat. Dass nun das sogenannte Phase-in – also eine Übergangsphase, die seit Jahren vorgesehen war – auf 2022 wegfällt, kommt für uns überraschend und ist nicht erfreulich, weil es die Herausforderungen für die ganze Branche für das kommende Jahr nochmals verschärft. Aber grundsätzlich sind wir mit den CO₂-Zielen einverstanden, und unsere Aufgabe als Amag ist, zusammen mit dem Hersteller und dem Handelsnetz dafür zu sorgen, dass wir diese Ziele auch erreichen.

Ihr Mitbewerber Emil Frey kämpft aktuell mit einem massiven Hackerangriff. Daten werden auch in Ihrer Branche immer wichtiger – Stichwort «Over-the-Air-Updates». Macht Ihnen das Sorge?
Das ist eine Entwicklung, die man sehr, sehr ernst nehmen muss. Die Hacker-Szene ist mittlerweile eine professionelle Industrie, und wir haben in den letzten zwei Jahren seit dem Cyber-Angriff gegen uns viel gelernt, entsprechend in Sicherheitsmassnahmen investiert und unsere Organisation angepasst. Wir sind heute wohl «state of the art» in Sachen Cybersecurity, und wir stehen täglich im Austausch mit Behörden, Universitäten und Beratungsunternehmen, um sicherzustellen, dass wir technologisch auf Ballhöhe bleiben.

Ihre Branche überschwemmt den Markt mit elektrifizierten Autos. Die Infrastruktur ist aber noch nicht bereit. Vielen Mietern fehlen zu Hause Lademöglichkeiten, an öffentlichen Ladestationen sind Staus programmiert.
Wer soll dieses Dilemma lösen – und wie?
Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe für alle, die eine Mobilitätswende ernst nehmen. Die Welt hat am Klimagipfel beschlossen, ab 2050 CO₂-neutral zu sein. Die Regierungen haben sich verpflichtet, Massnahmen zu ergreifen. Und eine wesentliche Massnahme ist die Defossilisierung der Mobilität. Die Hersteller bringen die dazu nötigen Autos. Und jetzt ist es an allen Entscheidungsträgern, dafür zu sorgen, dass die Mobilitätswende gelingt. Das heisst, es braucht die eine oder andere rechtliche Anpassung, damit Stockwerkeigentümer und Mieter in Mehrfamilienhäusern einfach zu einer Ladestation kommen.

Aber das verbessert nur das Ende der Energiekette.
Es braucht eine Energiepolitik, welche die Versorgung der Schweiz mit Elektrizität aus erneuerbaren Quellen sicherstellt. So wie es heute im Wesentlichen in der Schweiz schon Praxis ist. Unser Strommix ist nahezu CO₂-neutral, und das muss auch in 20 bis 30 Jahren gewährleistet sein. Ich zähle darauf, dass wir, die Industrie, die Politik und die Gebäudeeigentümer gemeinsam eine Lösung im Interesse der Kunden finden. Elektrische Mobilität muss so einfach funktionieren wie heute die thermische Mobilität. Das ist möglich, wie Norwegen mit 80 Prozent Elektroanteil bei den Neuwagen im letzten Jahr beweist. Natürlich muss dazu bei der Ladeinfrastruktur an Tempo zugelegt werden.

Die Amag hat letzten Sommer eine neue Klimastrategie verkündet …
… genau. Die Amag-Gruppe wird unter anderem in den nächsten vier Jahren 1000 Ladestationen, wovon rund 25 Prozent auch öffentlich zugänglich sein werden, und 65’000 Quadratmeter Solaranlagen bauen. Und wir werden in diesem Jahr zusätzliche Entscheide kommunizieren und umsetzen. Ich hoffe, dass noch ein paar andere Mitstreiter die Probleme nicht nur beschreiben, sondern ihren Teil zur Lösung beitragen. Nur dann wird die Mobilitätswende funktionieren.

Verlagert sich dann der Stau von der Strasse an die Ladestationen?
Wenn wir vieles falsch machen: ja. Aber wir wollen vieles richtig machen. Weil wir wissen, dass 80 Prozent der Ladevorgänge am Arbeitsplatz oder zu Hause stattfinden, muss die Infrastruktur prioritär dort geschaffen werden. Jeder Elektromobilist muss die Möglichkeit haben, sein Fahrzeug zu laden, wenn es steht. Wenn wir das hinkriegen, werden keine Staus entstehen. Es braucht aber natürlich einen beschleunigenden Zubau auch an öffentlicher Ladeinfrastruktur, da wir ja erst am Anfang der Elektrifizierung der gesamten PW-Flotte stehen.

Erstmals war in der Schweiz der meistverkaufte Neuwagen 2021 ein rein elektrischer. Überrascht?
Nein, ich fahre ja selbst seit drei Jahren elektrisch und kenne die Vorzüge. Ich kann allen nur empfehlen, es zu probieren. Bei unserem Abo Clyde kann man vier Wochen ein E-Auto ausprobieren – und wenns einem nicht gefällt, kann man es wieder zurückgeben. Doch wer mal eine Weile damit gefahren ist, will es nicht mehr zurückgeben. Ab nächstem Monat bieten wir bei Clyde das Abo auch inklusive Strom an, dann kann man ohne Kostenrisiko im In- und Ausland laden. Ab 2024 wird Clyde zudem nur noch E-Autos anbieten.

Die Amag 2021 in Zahlen
  • Mitarbeitende: 6500, davon 740 Lernende
  • Umsatz: 4,3 Milliarden Franken (2020: 4,0 Mrd. Fr.)
  • PW-Verkäufe: 74’339 (+4,3 Prozent, 2020: 71’290)
  • Marktanteil PW: 31,2 Prozent (+1,1 %, 2020: 30,1 %)
  • Mitarbeitende: 6500, davon 740 Lernende
  • Umsatz: 4,3 Milliarden Franken (2020: 4,0 Mrd. Fr.)
  • PW-Verkäufe: 74’339 (+4,3 Prozent, 2020: 71’290)
  • Marktanteil PW: 31,2 Prozent (+1,1 %, 2020: 30,1 %)

Wie gross ist Ihr Ärger, dass das Tesla Model 3 im abgelaufenen Jahr den Skoda Octavia als Bestseller vom Thron gestossen hat?
Überhaupt nicht. Denn die Volkswagen-Gruppe ist E-Auto-Anbieter Nummer 1. Von den von Amag Import vertriebenen Marken wurden im letzten Jahr knapp 10’000 E-Fahrzeuge neu zugelassen – also rund 50 Prozent mehr, als Tesla immatrikuliert hat. Wir sind Marktführerin in der Schweiz. Und mit unseren kommenden neuen E-Modellen wollen wir diesen ersten Platz weiter ausbauen.

Viele neue und junge Marken wollen ihre Produkte ohne eigentliches Händlernetz nur online verkaufen. Was halten Sie von dieser Entwicklung?
Die Amag setzt klar auf die Kombination aus digitalem Auftritt und persönlicher Beratung unter Einbindung unserer Garagisten und Autohäuser. Wir nutzen zwar Online-Verkaufskanäle, zum Beispiel bei unseren eigenen Garagenbetrieben, und stossen dabei auf grosses Interesse. Das rein digital verkaufte Volumen ist aber noch relativ klein. Denn die grosse Mehrheit unserer Kundinnen und Kunden wünscht weiterhin ein persönliches Gespräch. Deshalb glauben wir nicht an eine hundertprozentige Digitallösung, sondern sehen das Vertriebsmodell der Zukunft als intelligente Kombination aus digitaler und persönlicher Beratung.

Die Amag probiert aber auch neue Distributionskanäle – zum Beispiel mit Pop-up-Shops im Einkaufszentrum Glatt oder an der Zürcher Bahnhofstrasse und nun im Circle am Flughafen. Wie erfolgreich sind solche Aktionen?
Zunächst muss mal die Pandemie endlich ein Ende finden, damit solche Formate funktionieren. Können wir für Events und unsere Community öffnen, dann sind diese Formate supererfolgreich bei der Verstärkung von Kundenbindung, wie das Beispiel von Porsche zeigt, und der Heranführung neuer Käuferinnen und Käufer. Im Square im Circle am Flughafen kann man Probefahrten mit E-Autos machen. Aber wir verkaufen dort nicht, sondern man wird nur beraten. Solche Formate sind interessant, aber es braucht dazu natürlich – speziell am Flughafen – mehr Traffic, um wirklich erfolgreich zu sein. Das Timing ist für den Flughafen und für alle, die dort ein Geschäft haben, aktuell denkbar ungünstig.

Frage zum Schluss: Welches Modell wird 2022 die Nummer 1 in der Schweiz?
Hmm, gute Frage. (Zögert.) Ich hoffe, dass eines unserer Produkte dabei sein wird. Ich denke da an unsere Kompakt-SUVs wie etwa Audi Q4 e-tron, VW ID.4 und Skoda Enyaq – oder als Insider-Geheimtipp den grossartigen Cupra Born (schmunzelt). Sicher werden sie gemeinsam die Nummer 1.

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