Ineos baut den Offroader in Hambach (F)
Die Grenadiere kommen aus dem Elsass

Der Chemiekonzern Ineos steigt in die Autoproduktion ein und kaufte dazu das Smart-Werk in Hambach. Dort entstehen parallel zu den kleinen Smart Fortwo zusätzlich auch die robusten Ineos Grenadier – die moderne Interpretation des legendären Defender.
Publiziert: 21.02.2022 um 04:15 Uhr
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Aktualisiert: 21.02.2022 um 07:23 Uhr
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Der Chemiekonzern Ineos stellt jetzt auch Automobile her. Hier das Smart-Werk im elsässischen Hambach.
Foto: ZVG.
Wolfgang Hörner

Es war ein wahrer Staatsakt: Als Daimler am 27. Oktober 1997 das Smart-Werk im elsässischen Hambach (F) einweihte, waren selbst der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und der französische Staatspräsident Jacques Chirac vor Ort. Ein Aufbruch in eine neue Ära sollte es sein – nicht nur wegen des Konzepts des Smart Fortwo, sondern auch wegen der völlig neuen Fertigungsinfrastruktur.

Aufbruchstimmung herrscht in der ländlichen Region 25 Jahre später wieder. Doch die Vorzeichen könnten anders kaum sein. Statt des Cityflitzers mit dem smarten Design steht heute ein kantiger Geländewagen im Fokus. Dessen Äusseres wirkt so, als hätte man die Zeit nicht nur um ein Vierteljahrhundert, sondern eher um das Doppelte zurückgedreht. Grenadier heisst das Fahrzeug, Ineos der Hersteller – Namen, die bei vielen wohl nur Achselzucken hervorrufen.

Ineos steigt in den Autobau ein, ...

Der Grenadier mag als urchiges Geländefahrzeug ein Nischenprodukt sein. Dafür ist sein Hersteller ein Schwergewicht – wenn auch nicht in der Autobranche. Ineos, selbst erst 25 Jahre alt, ist ein Chemie-Gigant, der viele Bereiche abdeckt – von der Petrochemie über Wasserstoffgewinnung bis zur Kunststofffertigung.

Auch im Sport kennt man Ineos, etwa als Teilhaber des Mercedes-F1-Teams, als Sponsor der gleichnamigen Profi-Velotruppe oder als Geldgeber beim Fussballklub Lausanne-Sport. Automobile gehörten bislang aber nicht zum Portfolio. Das hinderte Firmengründer Jim Ratcliffe (69) nicht, jetzt auch in diese Branche einzusteigen. Der reichste Mann Grossbritanniens zu sein, ist dabei genauso hilfreich wie seine klare Vision.

... schliesst die Lücke des Defender ...

Nach dem Aus des alten Land Rover Defender 2016 will Ratcliffe diese Lücke schliessen. Er gründete Ineos Automotive, versammelte führende Ingenieure um sich und liess einen Offroader entwickeln. Der sollte mindestens so kantig sein wie der alte Landy und ähnlich unerschrocken im Gelände, allerdings in jeder Hinsicht moderner (siehe Box). Und so wurde der Grenadier Stück um Stück zur Serienreife entwickelt. Doch wo sollte er gefertigt werden?

Land Rover blitzte vor Gericht ab

Während der Entwicklung des Grenadiers hatte Ineos mit einer Herausforderung zu kämpfen, die absehbar gewesen war. Die Silhouette des Offroaders mit moderner BMW-Antriebstechnik, vor allem aber die Gestaltung der vorderen Kotflügel, weckt Erinnerungen an den alten Defender. Prompt sah man bei Land Rover das geistige Eigentum verletzt und zog wegen diverser Urheberrechtsverletzungen vor Gericht. Doch Ineos-Boss Jim Ratcliffe war vorbereitet, hatte eigens dafür einen Fond geschaffen und diesen gut gefüllt. Die Gerichte in England wiesen die Klagen denn auch ab und auch die Richter in anderen Ländern folgten dieser Einschätzung.

Jim Ratcliffe vor seinem kantigen Grenadier-Prototyp, der optisch schon stark an den alten Land Rover Defender erinnert.
zvg.

Während der Entwicklung des Grenadiers hatte Ineos mit einer Herausforderung zu kämpfen, die absehbar gewesen war. Die Silhouette des Offroaders mit moderner BMW-Antriebstechnik, vor allem aber die Gestaltung der vorderen Kotflügel, weckt Erinnerungen an den alten Defender. Prompt sah man bei Land Rover das geistige Eigentum verletzt und zog wegen diverser Urheberrechtsverletzungen vor Gericht. Doch Ineos-Boss Jim Ratcliffe war vorbereitet, hatte eigens dafür einen Fond geschaffen und diesen gut gefüllt. Die Gerichte in England wiesen die Klagen denn auch ab und auch die Richter in anderen Ländern folgten dieser Einschätzung.

Ratcliffe wurde bei Daimler fündig. Nach dem Joint-Venture der Deutschen mit dem chinesischen Autohersteller Geely und der geplanten Verlagerung der Smart-Produktion nach China, wurde die einst gefeierte Smart-Fabrik im Elsass plötzlich überflüssig. Bei Daimler fragte man sich: Schliessung oder Verkauf? Da klopfte Ineos an. Kontakte zwischen den Unternehmen gab es schon länger, schliesslich ist Ineos Teilhaber des Mercedes-F1-Teams.

Für Ratcliffe war diese Lösung umso attraktiver, weil Daimler noch 470 Millionen Euro in die Modernisierung des Werks und den Aufbau einer SUV-Fertigungslinie investiert hatte. Die Abmessungen bestimmter Fertigungsbereiche, etwa der Lackiererei, wären sonst für den grossen Geländewagen nicht geeignet gewesen.

... und baut bald 30'000 Autos jährlich

Was Hambach für Ineos zudem interessant machte, ist die Nähe zum Standort der Ineos-Automotive-Europazentrale in Böblingen (D) sowie die vielen ums Werk angesiedelten Zulieferer. Sie werden teilweise auch für die Fertigung des Grenadiers berücksichtigt. Ein weiterer Bonus sind die rund 1300 gut qualifizierten Beschäftigten, die übernommen wurden.

Trotzdem investierte Ineos nochmals kräftig ins Werk, wo man mindestens noch bis 2024 als Lohnfertiger für Daimler auch den Smart EQ weiter produzieren wird. Nach dem Aufbau der Grenadier-Fertigungslinie in nur zwölf Monaten und dem Hochfahren der Serienproduktion im kommenden Herbst sollen dann jährlich gut 30’000 Grenadier gebaut werden. «Bei Bedarf könnten wir aber nach einigen Anpassungen auch auf 60’000 Einheiten hochfahren», verrät Ineos-Automotive-CEO Dirk Heilmann.

Das Hauptaugenmerk beim Aufbau legte man auf unzählige Qualitätskontrollen während und nach der Produktion. Denn eines ist allen klar und wird von Heilmann auf den Punkt gebracht: «Wir haben nur diese eine Chance. Deshalb müssen wir nun alles richtig machen.»


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