Es passierte vor fünf Jahren im US-Forschungszentrum von Ford in Dearborn, Michigan: Ich sitze auf der Rückbank, vorne überwachen Ingenieure das Geschehen. Wir lassen uns von einem Prototypen eines Roboterautos über das Gelände chauffieren. Plötzlich springt hinter einem parkierten Lastwagen ein Mann vors Auto – Vollbremsung! Ist der Typ wahnsinnig? Nein, technikgläubig. Es ist Fords damaliger Entwicklungschef Raj Nair. Seine triumphierende Botschaft: «Wir habens voll im Griff mit dem autonomen Fahren.»
Ein jahrzehntealter Traum scheint heute wahr zu werden: Der Computer übernimmt das Steuer. Macht die Strassen sicherer, weil nicht mehr fehlsichtige, reaktionsschwache, abgelenkte Menschen die Verantwortung tragen. Schenkt uns die Fahrzeit zum Arbeiten und Faulenzen. Und bringt uns entspannter ans Ziel.
Ohne Corona hätte der Verkehr 2020 wohl weiter zugenommen. Zwischen 2009 und 2019 ist die Bevölkerung in der Schweiz um 820'000 Menschen gewachsen – und alle fahren zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Sport.
Adieu, Stau und Dichtestress?
Manche Experten sehen in Roboterautos die Lösung für alle Verkehrsprobleme. Die Zukunft liege in Schwärmen autonomer Fahrzeuge, die wir uns mit anderen teilen und die somit effizienter genutzt würden als der 23 Stunden am Tag herumstehende private PW. Robotertaxis kämen auf engstem Raum locker aneinander vorbei und liessen mehr Verkehr auf der gleichen Strassenfläche zu – das spare Milliarden-Investitionen in die Infrastruktur.
Wir müssen also nur noch abwarten, bis autonome Autos serienreif sind. Und dann: Adieu, Stau und Dichtestress! Adieu, Geld für den Strassenausbau, das können wir anderweitig ausgeben. Aber wann ist es soweit? 2030, 2040, 2050? Niemand weiss, wann die Künstliche Intelligenz zur Steuerung der Roboterautos parat sein wird.
Tatenlos auf diesen Moment zu warten hiesse, die heutigen Verkehrsprobleme zu verschärfen. In der Hoffnung, dass es die autonomen Fahrzeuge irgendwann schon richten werden. Doch so viel Zeit haben wir nicht. Wir müssen das Steuer jetzt packen, die Mobilität von Morgen jetzt diskutieren. Konstruktiv, nicht ideologisch.
Wer wartet, verpasst den Anschluss
Wir brauchen zum Beispiel Apps, die uns bei der Wahl des optimalen Verkehrsmittels helfen. Innovative Ideen, wie sich zum Beispiel per Mitfahrservices auch jene Dörfer anknüpfen lassen, die der ÖV links liegen lässt. Und wir müssen klären, wie viel und welche Mobilität wir künftig überhaupt benötigen. Wenn das Homeoffice als Teil der Arbeitswelt nach Corona bleibt, werden sich viele fragen, ob GA oder eigenes Auto für sie noch die richtige Lösung ist.
Abwarten ist keine Option. Ein waghalsiger Ford-Chefingenieur macht noch lange kein reifes Roboterauto.