Dieser VW Golf war ein Auto à la Ferdinand Piëch. Mit der vierten Generation des Bestsellers steuerte der einstige VW-Patron (1937–2019) ab 1997 seinen Konzern wieder in die schwarzen Zahlen. Der Dreier-Golf hatte den Ruf mit mässiger Qualität ruiniert, der Vierer polierte ihn wieder auf und fuhr der Konkurrenz davon. High-End-Techniker Piëch schaute bei ihm so genau hin wie bei den dreimal so teuren Modellen im Konzern: Schmale Fugen, Vollverzinkung, ESP und sogar erstmals Allrad gabs für das Brot-und-Butter-Modell.
Nur ausgerechnet der Top-Golf GTI geriet optisch zum Langeweiler. Doch weils Volkswagen längst wieder besser ging, durften 2002 zum Ende der vierten Generation die VW-Ingenieure gross auftischen. Auf den ersten Blick scheint der blaue Golf mit dem verträumten Schlafzimmerblick nichts Besonderes. Aber die XL-Lufteinlässe, zwei Endrohre, das R, die Zahl «32» und die stilisierten Zielflagge auf dem Heck gehören definitiv nicht zu einem 75-PS-Normalo-Modell.
Mehr Golf ging nicht
Auch innen zeigen die Pedale und der Schalthebel aus gebürstetem Aluminium, dass dieser Golf etwas Spezielles ist. Wir lassen uns in die ausladenden Sitze fallen. Der Tacho geht bis 300 km/h. Bisschen übertrieben für einen Golf? Nicht für diesen hier.
Wir sitzen im ersten Golf R32 – dem wahrscheinlich schärfsten Golf aller Zeiten! Der hat 241 PS und liefert 320 Newtonmeter maximales Drehmoment. Aus einem banalen Vierzylinder? Nein: Ein 3,2-Liter-VR6-Motor quetscht sich in den engen Motorraum. VR6? Das bezeichnet die Anordnung der Zylinder: Die stehen nicht V-förmig, sondern sind leicht zueinander versetzt, aber in einer Reihe angeordnet. Sonst würden sie kaum unter die kleine Haube passen.
Mit dem Sechszylinder, der auch im VW-Luxusliner Phaeton ran durfte, sprintet der R32 in 6,6 Sekunden auf Tempo 100 und weiter bis zu knapp 250 km/h Spitze – 2002 eine echte Ansage in der Kompaktklasse. Das allerdings ganz ohne Spoilerzierrat wie beispielsweise beim Subaru Impreza WRX STi (hier gehts zum Test des Nachfolgers) oder dem Mitsubishi Lancer Evo.
Auf zur Kurvenjagd
Wir drehen ganz klassisch den Schlüssel, und dezent knurrend erwachen die sechs Töpfe zum Leben. Ganghebel der 6-Stufen-Doppelkupplungsautomatik – gabs erst später als Option – auf «D» und los gehts. Zuerst ganz zahm. R32 oder nicht: Dieser Golf kann auch zurückhaltend und alltagstauglich. Das Fahrwerk ist straff, die Karosserie kauert selbstredend um zwei Zentimeter tiefer als beim Serien-Golf und dennoch tanzen die Bandscheiben nicht Foxtrott, wenn es mal über schlechte Strassen geht.
Schluss mit dem Geplänkel! Wir wollen wissen, was der Golf R32 kann. Rauf aufs Gas, und der Sechszylinder erhebt sonor brabbelnd seine Stimme. Kein lauter Berserker, aber genug, um uns ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Jetzt die erste ernsthafte Kurve: Ohne Mätzchen geht es um die Ecke. Der VW Golf R32 ist schnell, ziemlich schnell sogar. Wenn Kurvenradien eng und die Richtungsänderungen zackig werden, spürt man aber den Riesenmotor auf der Vorderachse. Dann schiebt der R32 immer wieder zum Kurvenäusseren.
Die Technik des R32
Im Vergleich zur verschworenen Runde, die sich undercover und heimlich traf, um den ersten Golf GTI zu entwickeln, ist die Entstehungsgeschichte des R fast schon langweilig. Als der R32 2002 das Licht der Welt erblickte, stand Piëch kurz vor dem Abtreten, aber wollte nochmals ein Zeichen setzen. So wurde der Giga-Golf generalstabsmässig geplant und entwickelt.
Entsprechend hatte der Golf R32 auch Feinheiten, wie sie der detailversessene Ferdinand Piëch liebte: Der 3,2 Liter grosse Sechszylinder trug zwei variabel verstellbare Nockenwellen und 24 Ventile – das war Anfang der 2000er-Jahre Motortechnik vom Allerfeinsten. Damit diese Kraft auf den Asphalt kam, musste natürlich ein Allradantrieb her – wie bei VW üblich mit Haldex-Kupplung (61,8 Prozent der Antriebskraft nach vorne, 31,2 Prozent nach hinten). Ein Frontkratzer wäre mit dieser Power hoffnungslos überfordert gewesen.
Ein voller Erfolg
Der damals beste Golf aller Zeiten würde heute schon dem GTI hinterher fahren. Dafür ist er noch immer der geilste Golf aller Zeiten. Ursprünglich wollte VW nur 5000 Stück vom Familiensportler bauen, doch er fand vor allem in den USA so viele Fans, dass nochmals 7000 Stück vom Band liefen. Billig war das Vergnügen freilich nicht. Der Grundpreis lag 2003 bei happigen 50'790 Franken. Zum Vergleich: Der Golf R der letzten Generation kostete mit 310 PS starkem Vierzylinder ab 51'350 Franken.
Heute ist es gar nicht mehr so leicht, einen unverbastelten Golf R32 in gutem Zustand zu finden. Bei Autoscout24 finden sich (Stand 26. August 2020) 18 Stück. Die meisten sind Dreitürer mit Handschaltung – und leider nicht mehr im Originalzustand. Die Preise reichen von 7900 bis 39'999 Franken.