(Un-)vergessene Automarken: Das Auf und Ab bei NSU
Fahre Prinz und du bist König

Wer heute NSU sagt, erwähnt meist im gleichen Atemzug Audi. Schliesslich fusionierten beide Autobauer 1969 zur Audi NSU Auto Union AG, aus der später die Audi AG entsprang. Doch die NSU-Geschichte begann schon mehr als hundert Jahre früher.
Publiziert: 08.01.2023 um 18:05 Uhr
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Aktualisiert: 08.01.2023 um 18:16 Uhr
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Wer heute NSU sagt, erwähnt meist im gleichen Atemzug Audi. Schliesslich fusionierten beide Autobauer 1969 zur Audi NSU Auto Union AG, aus der später die Audi AG entsprang.
Foto: ZVG.
Raoul Schwinnen

Beginnen wir mit der Namenskunde. Christian Schmidt (1844–1884) und Heinrich Stoll (1847–1914) übernehmen 1873 im deutschen Riedlingen an der Donau die «Mechanische Werkstätte zur Herstellung von Strickmaschinen». Schon drei Jahre später trennen sich die Wege der beiden. Schmidt verlegt 1880 die Herstellung der Strickmaschinen nach Neckarsulm, daraus gehen die NSU Motorenwerke hervor.

Der Markenname NSU steht aber nicht, wie irrtümlich gerne behauptet, für «Näh- und Strickmaschinen-Union» – sondern schlicht für das Kürzel des schwäbischen Standorts Neckarsulm. Der Weg von NSU zum Autobauer ähnelt erst jenem vieler Unternehmen jener Zeit, die ins Geschäft mit der Mobilität einsteigen: Man startet branchenfremd, sattelt auf Zweiräder und schliesslich Automobile um. Obwohl Gründer Schmidt 1884 im Alter von nur 39 Jahren stirbt, startet NSU kurz darauf mit der Produktion von Velos und entwickelt ab 1901 Motorräder – zu Beginn übrigens mit den Einzylinder-Viertaktern des Schweizer Herstellers Zedel.

Grösster Töffhersteller der Welt

Mitte der 1950er-Jahre ist NSU der stückzahlseitig grösste Zweirad-Hersteller der Welt. Stromlinienförmige, von Gustav Adolf Baumm (1920–1955) konstruierte Töffs, auf denen der Fahrer unkonventionell auf dem Rücken liegt, stellen viele Verbrauchs- und Temporekorde auf. Auch im Rennsport gibt es viele NSU-Siege zu bejubeln. Als das deutsche Wirtschaftswunder später mehr Autos und weniger Töffs verlangt, endet 1963 die Motorradproduktion in Deutschland. Es werden zwar noch einige Jahre lang im damaligen Jugoslawien NSU-Töffs von Preduzece Tito Sarajevo gebaut und als NSU-Pretis vertrieben, lukrativ ist das Business aber nicht mehr.

Serie: (Un-)vergessene Automarken

Erinnern Sie sich noch an Automarken wie DeLorean, Oldsmobile, Duesenberg, Iso Grifo oder Morris? Wir gehen auf Spurensuche und stellen in unserer neuen Serie (un-)vergessene Automarken vor. Heute, im Teil 2: NSU.

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Nicht ganz so erfolgreich wie bei den Zweirädern verläuft die Entwicklung bei den Autos – obwohl NSU schon 1906 loslegt. Nach dem Ersten Weltkrieg zieht die Nachfrage an. Doch 1925 übernimmt sich NSU mit der Übernahme der Berliner Carosseriewerke Schebera. Zusammen mit der Dresdner Bank steigt Fiat ein, um NSU zu retten. Die NSU-Autoproduktion endet 1932, ab 1934 produziert die NSU-Fiat in Heilbronn Lizenzbauten wie den NSU-Fiat 1000 oder nach dem Zweiten Weltkrieg den NSU-Fiat 500 C (baugleich zum Fiat 500 Topolino C). Bis in die 1970er-Jahre hinein entstehen solche Lizenzmodelle, zuletzt etwa vom Fiat 124, 125 oder 128.

Kleiner Prinz wird zum König

Dies unabhängig von der ursprünglichen NSU in Neckarsulm. Jene kämpft sich, vom Zweiten Weltkrieg schwer getroffen, mit erfolgreichen Zweirädern wie dem Motorroller Lambretta hoch und erkennt bald, dass Kleinwagen gefragter sein werden als Töffs. Es entsteht ein dreirädriger Kabinenroller mit Töffmotor und daraus 1957 der vierrädrige NSU Prinz mit 583-ccm-Zweizylinder im Heck und 20 PS.

Schnell findet der kleine Prinz getreu seinem Werbeslogan «Fahre Prinz und du bist König» seine Fans. Der Nachfolger, der grössere Prinz 4, läuft im zeittypischen «Badewannen-Design» von 1961 bis 1973 mehr als 620’000-mal vom Band. Und mit den Prinz-Modellen 1000, TT und TTS mit hinten quer verbautem, luftgekühltem Einliter-Vierzylinder mit bis zu 70, getunt gar bis zu 90 PS steigt der Kleinwagen-Hersteller in den 1960er-Jahren in den Rennsport ein. Vor allem in Slalom-Wettbewerben sind die keine 700 Kilo wiegenden Renn-Prinzen erfolgreich. Auf den dynamischen Geschmack gekommen, will NSU dann 1964 mit dem NSU Wankel Spider, dem ersten Serienfahrzeug mit Wankelmotor, die Autowelt im Sturm erobern. Doch mit nur knapp 2400 verkauften Exemplaren bleibt der Erfolg überschaubar.

Wankel wird zum Todesurteil

Dennoch glaubt NSU weiterhin an die revolutionäre Motortechnik und lanciert 1967 die Gehobene-Mittelklasse-Limousine Ro 80 mit futuristisch anmutender, besonders aerodynamischer Keilform. Der hochmoderne Ro 80, in der Theorie mit genialem Antrieb, erweist sich in der Praxis als technisch anfällig: Ro-80-Lenker grüssen sich mit erhobenen Fingern, je nach Anzahl getauschter Motoren. Später bekommt NSU die Technik in den Griff, aber es ist zu spät: Der Ro 80 floppt, NSU gerät in Not.

Diesmal steigt der Volkswagen-Konzern als Retter ein. Im August 1969 fusionieren die damalige NSU AG und die zu Volkswagen gehörende Auto Union (deren Marke Audi später den ganzen Volkswagen-Konzern retten wird) zur Audi NSU Auto Union AG. Die als Gegenstück zum Ro 80 fertig entwickelte und sehr moderne Frontmotor-Limousine K 70 wird ebenfalls übernommen und kommt als VW K 70 statt NSU auf den Markt. Der grosse Erfolg bleibt jedoch auch bei diesem Modell aus.

Audi NSU Auto Union wird zu Audi

Nachdem 1975 die bereits beschlossene Schliessung des Werks Neckarsulm wegen der heftigen Reaktionen (Protestmarsch von 7000 der 10'500 Beschäftigten) zwar verhindert wird, werden dennoch 4500 Jobs gestrichen. 1977 läuft der letzte Ro 80 vom Band – und damit die Zeit des ambitionierten Autobauers NSU ab. Im Jahre 1985 erfolgt die Umbenennung der Volkswagen-Tochter in Audi AG, der Name NSU stirbt endgültig. Einzig das Börsensymbol für die Aktie der Audi AG ist weiter NSU – weil die heutige Audi AG rechtlich nichts anderes ist als die umbenannte NSU AG.

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