Mit Digitaltechnik und E-Antrieb
Haben heutige Autos noch Oldtimer-Potenzial?

Die Technik moderner Autos entwickelt sich immer schneller, die Lebenszyklen werden kürzer. Sind Elektronik, Digitaltechnik und die Elektromobilität die Totengräber der Oldtimer-Szene?
Publiziert: 09.08.2020 um 03:06 Uhr
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Aktualisiert: 20.08.2020 um 12:38 Uhr
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Heute sind gepflegte Oldtimer ...
Foto: Daniel Reinhard
Raoul Schwinnen

Der Dreh am grossen Lenkrad ist eine Kraftübung, der Gangwechsel ein Fitnesstest für den Kupplungsfuss. Dennoch oder gerade deshalb sind Ausfahrten in meinem 58-jährigen Austin-Healey für mich die pure Lebenslust. Weil der Sechszylinder mit seinen drei Vergasern röchelt und röhrt und obwohl man beim Bremsen nicht auf Servohilfe oder ABS vertrauen kann – die gibts nämlich nicht. Sondern nur Mechanik pur. Technischer Fortschritt? Ist mir in solchen Momenten egal.

Doch Oldtimer-Genussfahrten könnten schon bald so Geschichte sein wie die Autos selbst. Die Lebenszyklen der Autos werden immer kürzer, Modellwechsel immer hektischer. Sprich: Neue Fahrzeuge altern in Zeiten von Digitalisierung und Elektrifizierung immer schneller. Und bestimmt nicht nur ich stelle mir oft die bange Frage, wie alt heutige neue Autos überhaupt noch werden können? Ist es überhaupt möglich, deren Hightech im Oldie-Alter noch instand zu halten?

Keine Technik mehr für Verbrenner

Auch wenn das Durchschnittsalter des europäischen Fuhrparks zuletzt anstieg (2013 bei 10,5, 2017 bereits bei über 11 Jahren) und diese Entwicklung weiter anhalten sollte, kann ich mir nur schwer vorstellen, dass meine Urenkel in 60 Jahren mit einem Tesla Model 3 oder einem Porsche Taycan auf den Strassen herumfahren werden. Selbst ein konventionell mit Benzin- oder Dieselmotor angetriebenes Auto verfügt heute über so viel Elektronik an Bord, dass man sich echte Sorgen über die Halbwertszeit moderner Fahrzeuge machen muss.

Schon einstige Hightech-Elektronik aus den 80er- oder 90er-Jahren, wie sie in einem BMW 8er von 1989 oder dem Renault Fuego von 1980 steckt, kann bei einem Defekt heute nur von Spezialisten wieder zum Leben erweckt werden. Wenn das angesichts gegossener Platinen überhaupt möglich ist – sonst bleibt nur der teure Austausch. Falls es noch Ersatzteile gibt. Und dann meldet zum Beispiel letzte Woche der deutsche Zulieferer ZF, man werde keine Antriebe für reine Verbrenner mehr entwickeln. Wars das künftig mit dem Thema Oldtimer?

Kunden von heute im Vorteil

Diese Sorge sei unbegründet, heissts von Automarken und -zulieferern. «Ein Audi 2020 wird nach den gleichen Vorgaben für Laufzeit und Dauerhaltbarkeit entwickelt wie einst ein Audi in den 90ern», versichert Audi. Ein Sprecher der Marke sieht Kunden heute gar im Vorteil. «Egal, ob Guss oder die Legierung von Motoren, Beschichtungen gegen mechanischen Verschleiss oder Lacke – wann immer es um Materialgüte geht, führt jahrzehntelange Erfahrung zu einer kontinuierlich besseren Ausgangsbasis.» Funktionsteile wie Scheinwerfer seien etwa dank LEDs mittlerweile wartungsfrei. Und Kunststoffe von heute böten mehr Widerstand gegen Alterung. «Falls doch mal was kaputt geht», so der Audi-Sprecher, «stellen wir für mindestens 15 Jahre die Ersatzteilversorgung sicher.» Also scheinen zumindest Audi-Kunden hier auf der sicheren Seite zu sein.

Plattformen und 3D-Druck

Ist gar die Elektromobilität eine Chance? So sieht es der Zulieferer Continental. E-Mobilität sorge dafür, dass sich mit weniger bewegten Teilen der Verschleiss reduziere. Zudem basierten die E-Plattformen häufiger auf Standardteilen, die kompatibel und austauschbar seien. Und dann gebe es noch den 3D-Druck, mit dem man lange nach Produktionsende die Möglichkeit für neue Ersatzteile habe.

Oldtimer: Moderne Technik muss kein Nachteil sein

Motoren von Elektrofahrzeugen sind effizienter, wartungsfreundlicher und verschleissfreier als jene von konventionell angetriebenen Autos. Unsicherheitsfaktor bleibt aber der Akku. Hybrid- und E-Fahrzeuge der ersten Generation beweisen zwar, dass ihre Dauerhaltbarkeit in etwa vergleichbar ist mit jener von Verbrennerautos. Zudem lässt sich der Akku bei Bedarf auswechseln – und teils (z.B. bei Renault) auch getrennt vom Fahrzeug leasen oder mieten.

Die zunehmende Vernetzung ist beim Alterungsprozess wohl eher Vor- als Nachteil. Dank Apple Carplay, Android Auto und direkter Internet-Anbindung profitiert ein Fahrzeug heute gleich mit dem eingebundenen Smartphone von neuen Apps und Funktionen. Zudem können so neue Funktionen selbst Jahre nach dem Autokauf ohne Werkstattbesuch in die Fahrzeugelektronik implementiert werden.

Beim Kauf eines Renault Zoe kann der Akku wenn gewünscht auch nur gemietet werden.
Werk

Motoren von Elektrofahrzeugen sind effizienter, wartungsfreundlicher und verschleissfreier als jene von konventionell angetriebenen Autos. Unsicherheitsfaktor bleibt aber der Akku. Hybrid- und E-Fahrzeuge der ersten Generation beweisen zwar, dass ihre Dauerhaltbarkeit in etwa vergleichbar ist mit jener von Verbrennerautos. Zudem lässt sich der Akku bei Bedarf auswechseln – und teils (z.B. bei Renault) auch getrennt vom Fahrzeug leasen oder mieten.

Die zunehmende Vernetzung ist beim Alterungsprozess wohl eher Vor- als Nachteil. Dank Apple Carplay, Android Auto und direkter Internet-Anbindung profitiert ein Fahrzeug heute gleich mit dem eingebundenen Smartphone von neuen Apps und Funktionen. Zudem können so neue Funktionen selbst Jahre nach dem Autokauf ohne Werkstattbesuch in die Fahrzeugelektronik implementiert werden.

Will man 2050 noch Oldies?

Vielleicht stellen sich aber in drei Jahrzehnten, wenn heutige Autos zu Oldtimern werden, ganz andere Fragen: Sind die neuen Formen der Mobilität vielleicht so ansprechend, dass niemand mehr einen Oldtimer mit Baujahr 2020 haben will? Schauen wir dann schon perplex, wenn wir selbst fahren sollen – weil wir dank autonomer Autos keinen Führerausweis mehr haben und alte Autos lieber im Museum anschauen? Dürfen wir Autos mit Verbrennungsmotor dann überhaupt noch fahren? Und mal ehrlich: Niemand kann sich mehr vorstellen, heute noch mit einem 30-jährigen Handy zu telefonieren oder gar zu faxen statt zu mailen.

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