Wieder was gelernt: Unterschätze nie einen gesichtslosen Industriezweckbau. Ein Vorort von Lugano, draussen rauscht auf der A2 der Verkehr gen Bellinzona. Drinnen pocht das Oldie-Herz. Oder vielmehr das Cuore Sportivo. Ikonen en gros und Legenden im Dutzend, alte Alfas bis zum Horizont. Durchatmen und staunen.
Willkommen im Reich von Axel Marx (65), Arzt im Ruhestand und Alfista von Kindesbeinen an. Fliessend wechselt der Wahl-Luganeser von Italienisch über das heimische Baseldytsch zu Hochdeutsch – oder Portugiesisch: Der eloquente Gefässchirurg lernte die Sprache nicht, um sich an Rios Copacabana zu bräunen, sondern um über brasilianische Autofriedhöfe zu streunen. Brasilianische Alfas sind quasi sein Hobby im Hobby, seine Leidenschaft im Alfa-Enthusiasmus.
Alfas aus Brasilien
Grob vereinfacht erklärt: Präsident Juscelino Kubitschek (1902–1976) wollte Brasilien Ende der 50er-Jahre endlich die neue Hauptstadt und eigene Autos schenken. Architekt Oscar Niemeyer (1907–2012) baute Brasília; die Fábrica Nacional de Motores (FNM) die Autos à la Alfa. Premiere feierte der FNM 2000 dann 1960 zur Einweihung Brasílias. In Chrom auf der Haube: Kubitscheks Initialen und die stilisierten Säulen von Niemeyers Präsidentenpalast. Marx hat mehrere Alfas do Brasil und zu jedem Namen Anekdoten, Fakten, Historie.
Im Arna zur Arbeit
Diese Geschichten machen die Autos zu Geschichte. Vielleicht darum haben bei Marx auch die Ungeliebten ihren Platz. Sein 6C 1750 Gran Sport aus den frühen 30er-Jahren zum Beispiel – der im kleineren Teil der Sammlung in einem anderen Luganeser Vorort steht – mag eine atemberaubende Alfa-Ikone sein. Aber Marx fuhr zeitweise im Arna (1983–1986) zur Arbeit, dem als Tiefpunkt der Marke geltenden Flop im japanischen Nissan-Kleid. Ironie des Marx-Arna: Das Sondermodell namens «Jubilé» feierte – ausgerechnet – das 75. Alfa-Jubiläum. Wir flanieren entlang aufgereihter Alfas, staunen über den Giulia-Kombi-Prototyp und den Gran Sport Quattroruote: Diese Art Werksreplika alleine wäre einen Artikel wert, schon weil sie in den 60er-Jahren das Lieblingssujet italienischer Schlagersänger für ihre Single-Cover war. Prompt zückt Marx etwa Adriano Celentanos «Azzurro».
Einer von zwei Gebauten
Auch ein nagelneuer Giulia GTAm ist da: Unser Besuch erfolgt ja zum 110. Markenjubiläum, und dazu ist seitens Alfa die neue Hyper-Giulia mit 540 PS entstanden und zu Besuch gekommen. Aber heute interessiert uns doch eher das 1954er 2000 Sportiva Coupé. Zwei Stück gibts – eins im Werksmuseum, eins hier. Doch das Faszinierende ist die Komplettheit von Marx' Sammlung.
Schweizer Alfa-Cabrio
In «normalen» Alfa-Sammlungen steht ein GTV 6. Hier sinds fünf Alfetta GT und GTV, demnächst stösst die rare Powervariante aus Südafrika dazu. Oder all diese wunderbaren 1900er-Coupés: Sie zeigen die Bandbreite der Karosserie-Couturiers, zwei von Touring (Werksversion), einer von Pininfarina, einer von Castagna, einer von nur vier gebauten von Ghia (Aigle/Lugano) im Michelotti-Dress, ein Zagato – und ein 1955er-Cabrio mit Karosserie Worblaufen (BE). Ein typischer Marx: als Occasion gekauft, lange auf Ferienreisen genutzt.
Anmeldung per E-Mail
Nur die Frage nach der Gesamtzahl liegt Marx nicht. «Darum geht es nicht!», betont er. Wir schätzen, dass es klar über 100 Autos in den «Heiligen Hallen» der Alfisti sind. Lieber erzählt, scherzt, erläutert und sprudelt er begeistert und referiert länger über den Dachgepäckträger seines 6C 2500 Freccia d'Oro als über den in der Szene weit begehrteren 6C 2500 Superleggera daneben. Stundenlang könnte man zuhören, schwelgen und träumen. Doch die Zeit rennt. Eine Frage noch schnell.
Wieso stehen da zwei Renaults? Ups, falsche Frage. Auch das sind (natürlich!) Alfas: Einst baute Alfa Renaults Dauphine in Lizenz. Auch den R4 gabs als Alfa. Sieht man doch am Ausstellfenster ganz hinten. Ach so. Wieder was gelernt.
Kann man die Sammlung besuchen? Man kann: Anmeldung von Gruppen zum Besuch der gemeinnützigen Gesellschaft Anthax Collection Marx unter anthax-collection@bluewin.ch.