«Win on sunday, sell on monday»: Am Sonntag ein Rennen gewinnen, und am Montag stehen die Kunden bei den Händlern Schlange – nach dieser Devise engagierten sich die Autohersteller früher im Motorsport. Messen liess sich der Zusammenhang zwischen Pokalen und Verkaufszahlen nicht – dran glauben reichte den Marketing-Strategen. Inzwischen gibt es aber auch handfeste Gründe, um viel Geld im Rennsport auszugeben. E-Mobilität gehört längst in vielen Rennserien dazu. Ideal, um eine neue Technologie auszuprobieren, die in ein paar Jahren auch in Serienautos kommen könnte. Ein Beispiel: Audis E-Bolide für Wüstenrallyes.
Wenn Audi vom komplexesten Rennwagen seiner Markengeschichte spricht, ist das nicht übertrieben. Der RS Q E-Tron entstand auf einem weissen Blatt Papier, ohne Vorbild und nur von einem relativ vagen Regelwerk begrenzt. Für Restriktionen sorgten aber Corona und interne Zweifler. Deren Zahl nahm nach der ersten Simulation einer Dakar-Etappe am Computer sogar noch zu.
Doch die Audi-Techniker, aus deren Reihen die Idee stammt, hatten letztlich den richtigen Riecher. Ihr Auto funktioniert und ist schnell. Das zeigten die Resultate beim ersten Einsatz zu Jahresbeginn bei der Dakar-Rallye 2022: Vier Tagessiege, 14 Etappen-Podiumsplätze und der neunte Gesamtrang für Mattias Ekström/Emil Bergkvist konnten sich sehen lassen.
Angetrieben wird der Dakar-Audi von zwei E-Motoren mit je (theoretisch) 340 PS Maximalleistung. Gemäss Dakar-Reglement ist beider Gesamtleistung allerdings auf 392 PS limitiert. Eine Differenzialsperre an jeder Achse sorgt in Verbindung mit einem per Software simulierten Mitteldifferenzial dafür, dass jedes Rad genau so viel Leistung erhält, wie gebraucht wird. Jedes Rad mit einem eigenen E-Motor auszustatten, um sich so die Getriebe zu sparen, wurde schon früh verworfen. «Bei einem Fahrwerksschaden, wie er bei der Dakar leicht vorkommen kann, würde das 800-Volt-Stromsystem in Mitleidenschaft gezogen. Und das wäre das Aus», erklärt der technische Projektleiter Benedikt Brunninger.
DTM-Motor als Stromgenerator
Gespeist werden die Motoren aus einer 52-kWh-Batterie – viel zu wenig für eine Tagesetappe. Und weil stundenlanges Nachladen im Rennen keine Lösung ist, wird der Strom unterwegs per Verbrenner produziert. Das wird bei Schiffen oder Eisenbahnen schon seit Jahrzehnten mit Dieselmotoren praktiziert. Speziell bei Audi ist jedoch, dass dazu die eingemotteten Motoren aus der DTM reaktiviert wurden. «Weder beim Gewicht noch bei der Leistung gab es dafür eine Alternative, erst recht nicht bei dem engen Zeitplan», stellt Brunninger klar. Geheim bleibt, wie viel Leistung die einst über 600 PS starken Aggregate heute für den Wüsteneinsatz haben.
Sie starten nach Bedarf automatisch, um dann mit rund 4000 bis 6000 Touren vor sich hinzulaufen. Ob der Fahrer bremst oder beschleunigt, ist egal – weshalb die Klangkulisse ziemlich ungewöhnlich anmutet. Etwa so, als würde ein Nachbar stetig und unaufhaltsam in Beton bohren. Aber auch ohne den aktivierten Vierzylinder entwickelt der Audi RS Q E-Tron einen Gänsehaut erzeugenden Sound – eine kurios und spacig anmutende Mischung aus Surren und Pfeifen.
Ist der Audi RS Q E-Tron nun reines «Greenwashing»? Schliesslich wird elektrisch gefahren und für E-Mobilität geworben, letztlich aber doch Benzin verbrannt. Nein, weil entscheidend ist: Im Gelände ist Elektroantrieb unschlagbar. Sein hohes Drehmoment steht vom ersten Sekundenbruchteil an zur Verfügung. Beim Überwinden von Hindernissen oder an heftigen Steigungen ist das ein unschätzbarer Vorteil. In dieser Disziplin stechen auch Plug-in-Hybrid-Geländewagen ihre konventionell betriebenen Kollegen aus.
E-Antrieb auf Dünen ein Vorteil
«Es ist aber nicht nur dieser Sofort-Schub allein», stellt Emil Bergkvist klar. Der Audi-Co-Pilot lotst uns am Steuer des Dakar-Monsters und gibt Tipps, wie man noch mehr aus dem RS Q E-Tron herauskitzeln kann. «Genauso wichtig ist die extreme Reaktionsschnelligkeit des Systems, besonders beim Dünen-Fahren.» Dünen seien die grösste Herausforderung. Man könne nie wissen, was hinter dem Dünenkamm ist – deshalb muss man ihn langsam anfahren. Denn bei zu viel Tempo in steilem Gefälle droht ein Überschlag. Andererseits braucht das Auto viel Schub, um überhaupt auf die Düne zu kommen. Das liesse sich mit dem E-Antrieb viel feiner dosieren. «Und wir sprechen nicht von zwei, drei Dünen, sondern vielleicht von 200 pro Etappe», unterstreicht Bergkvist den Vorteil. Kein Wunder, stuft selbst der Dakar-Sieger von 2022, Nasser Al-Attiyah im konventionellen Toyota Hilux, den Audi als schnellsten Wagen im Feld ein.
Schub hat der RS Q E-Tron jedenfalls ohne Ende. Auf dem Schotter der sardischen Teststrecke liefert er den mit viel Untersteuern – bis ich ihm mit dem wie früher aussehenden Hebel der Handbremse den Impuls zum Übersteuern gebe. Mechanische Handbremse und E-Antrieb – das braucht ein wenig Übung. Doch ansonsten fährt sich der Dakar-Audi gutmütig, ja fast brav – sieht man mal von den überbordenden Multifunktionsdisplays ab, die auf der Testfahrt glücklicherweise der geübte Co-Pilot im Auge behält.
Gemessen an der technischen Revolution, die das Auto darstellt, und an dessen Komplexität fährt sich der Audi RS Q E-Tron richtig unkompliziert. Selbst wenn man nicht Carlos Sainz, Stéphane Peterhansel oder Mattias Ekström heisst. Aber wir Normalfahrer müssen noch warten, bis sich die Technik des Boliden auch in unseren Autos finden wird.