Das Schicksal des Krieges in der Ukraine könnte sich auf Alibaba entscheiden. Kennst du die chinesische Online-Handelsplattform, die vom berühmten Jack Ma gegründet wurde, dem Milliardär, den das kommunistische Regime in Peking genau im Auge behält? Wenn nicht, frag Oleg, so der Spitzname von Olegski Asanow, um Rat. Der 30-jährige IT-Spezialist hat Alibaba in eine echte Kriegswaffe gegen die «Orks» verwandelt, wie die Ukrainer Putins Soldaten nennen. In diesen Tagen machen sie an der Frontlinie Boden gut, nachdem sie Awdijiwka erobert haben.
Oleg ist einer der Gründer einer der geheimen ukrainischen Drohnenbrigaden, der Organisation «Social Drone UA». Er zeigt mir ihre Homepage im Internet und ihren Kanal auf Telegram. Fast 3000 Ukrainer aus dem ganzen Land haben sich ihm angeschlossen. Das jüngste Mitglied ist 13, das älteste 77 Jahre alt. So erzählt es jedenfalls Oleg. Er zeigt mir im Kofferraum seines Autos die Kartons mit Bauteilen, die über Alibaba und dank der ukrainischen Post aus China hierher verschickt wurden.
Mit technischer Überlegenheit zurückschlagen
Die Strategen sagen es, seit die russische Armee ihren Angriff auf Kiew und den Osten des Landes begonnen hat: Niemals wird die Ukraine so viele Männer opfern können wie Wladimir Putin. Nie werden die ukrainischen Schützengräben so viele Leichen oder Verwundete verkraften können wie jene der russischen Armee, die so verschwenderisch mit dem Leben ihrer Soldaten umgeht. Die einzig mögliche Antwort der von Russland angegriffenen Ukraine besteht daher darin, mit einer technischen Überlegenheit zurückzuschlagen.
Die Menschen an der Front – rund 800 Kilometer östlich von Kiew – sterben wie Kanonenfutter unter einem Hagel von Bomben und Raketen, die die Unterstände durchlöchern und die schützenden Baumstämme zertrümmern. Auf beiden Seiten wird der modernste aller Kriege geführt, dessen ultimative Kämpfer die Kamikaze-Drohnen sind, die mit einem 3D-Helm gesteuert werden und ihre Ziele sogar in den Wäldern verfolgen können. Die Drohnenkämpfer sind so gefürchtet, dass die Scharfschützen auf beiden Seiten angewiesen sind, sie zuallererst zu eliminieren. Sie sind die Augen und die Hoffnung einer ukrainischen Armee, die gezwungen ist, auszuharren, während sie auf die Versprechungen westlicher Munition und Waffen wartet.
3D-Drucker als «Fabriken»
Aber Alibaba ist kein ukrainischer Hangar. Die chinesische Plattform wird sowohl von den Russen als auch von den Ukrainern genutzt, um sich mit Drohnen einzudecken. Die Tausenden Freiwilligen von Social Drone UA sind mit Geld aus landesweiten Sammelaktionen und Spenden von Privatpersonen ausgestattet. Die Drohnenkämpfer bestellen auch auf Amazon. Und auf europäischen Plattformen. Oleg lacht: «Es wird sowieso alles in China hergestellt. Alles, was wir online kaufen, kaufen auch die Russen. Es ist ein riesiger Kampf, der online mit unseren Kreditkarten ausgetragen wird.» Oleg zeigt mir nacheinander die wichtigsten Drohnenteile aus Kohlefaser. Diese müssen im Ausland gekauft werden. Dann zeigt er mir Fotos von seinen «Fabriken», wie die 3D-Drucker genannt werden, die in Wohnungen in Lwiw, Kiew, Odessa und vielen anderen ukrainischen Städten die ergänzenden Kunststoffteile herstellen.
Eine Armee braucht eine Logistik. Social Drone UA spielt zusammen mit anderen ähnlichen Organisationen seit ihrer Gründung im Sommer 2022 diese Rolle. Es ist eine Bürgerarmee. «Wir wissen alles, was unsere Drohnen tun werden», ergänzt der junge Informatiker und Vater einer achtjährigen Tochter. «Einige werden über russischen Stellungen explodieren, andere werden dazu dienen, Verwundete zu finden oder eine Aufklärungsmission durchzuführen. Alle Brigaden der Armee haben unsere Koordinaten. Sie geben eine Bestellung auf. Wir stellen her. Es ist ein echter Industriekrieg, in dem Frauen eine entscheidende Rolle spielen: Tausende von ihnen löten zu Hause Schaltkreise.»
«Ich bin an Bord»
Ich habe darum gebeten, Frauen zu treffen, die Drohnen fliegen. Und siehe da, nachdem ich etwa 30 Kilometer gefahren und einen schlammigen Hügel hinaufgestiegen war, der an einen Wald am Rande eines Industriegebiets grenzte, standen zwei von ihnen vor mir. Die Frauen trugen Tarnkleidung. Tatjana ist Ausbilderin für die Steuerung von Kamikaze-Drohnen. Ihr Helm zwingt sie, ihre Dreadlocks nach hinten zu schieben. Der rote Lack ihrer Fingernägel hebt sich vom Khaki ihrer Jacke, dem einheitlichen Grau des Himmels und dem Schlamm ab, der sich an unseren Füssen festsetzt. Tatjana weiss, wie man zuschlägt. Für sie ist es fast so, als würde sie sich selbst in die Luft sprengen. Sich selbst zerstören, um zu töten. All das, manchmal über eine Entfernung von mehreren Kilometern. «Eine Drohne muss die Verlängerung deines Körpers sein. Ich spüre es, wenn sie fliegt. Ich bin an Bord.»
An einer der Trennwände des Besprechungsraums, in dem ich sie treffe, in einem Fertighaus auf einem leeren Grundstück, hat die junge Frau ein Foto ihrer beiden Buben im Teenageralter aufgehängt. Sie sind in der Nähe der ungarischen Grenze bei einer Tante in Sicherheit. Ihr eigener Alltag besteht aus dieser seltsamen Garnison, dem Dronarium, geleitet von Dimitri (56). Hier operiert auch Julia, allerdings mit einem anderen Modell eines ferngesteuerten Fluggeräts: dem chinesischen Mavic 3, das sie für rund 2000 Euro im Internet gekauft hat. Julia bringt den Soldaten bei, wie man diese auf Überwachung und Aufklärung spezialisierten Drohnen steuert. Sie hat ein Händchen dafür, die Drohnen im Slalom zwischen Bäumen hindurch und in Bodennähe fliegen zu lassen und dann in einem Looping feindlichem Beschuss auszuweichen. Was ich sehe, ist keine Kampfszene. Ich beobachte ein Training. Aber so sieht der Drohnenkrieg aus.
247 Exemplare in einer Woche
Die Soldaten im Dronarium zeigen mir Bilder von dem, was an der Front wirklich passiert. Ich sah es im Mai 2023, als ich beim plötzlichen Auftauchen einer Drohne nahe der Frontlinie in Nowi Komar im Oblast Donezk nach einem 50-Meter-Sprint gegen die Wand eines zerstörten Schuppens prallte. War die Drohne russisch? War es eine ukrainische Drohne? Ich weiss es nicht. Aber ich habe immer noch ihr Summen im Kopf. Es ist wie jenes der Drohnen, die ich jetzt vor mir sehe, versteckt hinter den Birken, dann plötzlich auf einen zukommend, wie ein Bienenschwarm. Im Kofferraum seines Autos zeigt mir Olegksi ein Modell der Bomben, die seine Drohnen unter ihren Propellern mit sich führen. Die Munition hat die Grösse einer Faust. Die Reichweite der Drohnen beträgt etwa zehn Kilometer.
Das Dronarium ist ein Lager, das von Drohnen bevölkert wird. Die Metallschränke in den Fertighäusern enthalten Hunderte von Geräten, die eingestellt und getestet werden müssen. Olegksi lächelt, als ich ihn nach den Lieferwegen frage. Wer bringt die Drohnen, die im ganzen Land hergestellt werden, zu den Trainingszentren? «Die Post», antwortet er. «Sie funktioniert. Wie unsere Eisenbahn. Wir bekommen jeden Tag Dutzende von Kartons. Ich habe letzte Woche gezählt: 247 Drohnen wurden geliefert.» Es folgt, wie in jeder Armee, die Phase der Überprüfung. Die Batterien, die Steuerung und die Qualität der Struktur werden getestet. Erst danach sind die Drohnen bereit für die Front.
«Wir sind die dynamischste Rüstungsindustrie»
«Es gibt Dinge, die wir nicht können», sagt Olegksi weiter. «Unsere Drohnengemeinschaft produziert, sie kämpft nicht. Wir sind wie die Rüstungsindustrie. Tatsächlich sind wir heute die dynamischste Rüstungsindustrie in der Ukraine.»
Tatjana muss lachen, als ich auf die «Bastelarbeit» in ihrem Lager zu sprechen komme, das aus einem Dutzend Zelten besteht, die am Waldrand stehen, wo die gefürchteten «elektronischen Insekten» summen. «Die Stärke unserer Geheimarmee ist, dass sie jederzeit auftauchen kann», hält sie dagegen. «Ich weiss, dass die Russen unsere Drohnen stören können, dass sie darin sogar sehr gut sind. Ich weiss auch, dass viele unserer Drohnen, die für mich ein wenig wie Soldaten sind, auf dem Schlachtfeld fallen werden.» Gleichzeitig, so Tatjana, könne man die Drohnen ersetzen. «Die Drohnen sind nicht deprimiert. Sie haben keine Familie.» Mir wird klar, so elektronisch und digital der Drohnenkrieg auch sein mag: Hinter jedem Gerät steht trotzdem ein Mensch, der es steuert.