Kurz vor der Präsidentschaftswahl noch eine Richterstelle am Supreme Court besetzen? Seit dem Tod von Ruth Bader Ginsburg (†87) tobt der Streit um das politische Manöver, mit dem US-Präsident Donald Trump (74) eine konservative Mehrheit am Obersten Gerichtshof sichern will – kurz, bevor er möglicherweise abgewählt wird.
Dass die Demokraten gegen Trumps Plan sind, wundert niemanden. Doch nun spaltet der Zoff um die Ginsburg-Nachfolge sogar Trumps Republikaner. Lisa Murkowski (63), Senatorin aus Alaska, entzieht dem US-Präsidenten ihre Unterstützung: Sie will die Stelle am Obersten Gerichtshof nicht kurz vor der Wahl besetzen.
«Ich würde nicht dafür stimmen, einen Kandidaten für den Obersten Gerichtshof zu bestätigen. Es sind noch 50 Tage bis zu einer Wahl», sagte sie bereits am Freitag – nur Stunden vor dem Tod der legendären Richterin Ruth Bader Ginsburg. Am Sonntag bestätigte sie ihre Position nochmals. Sie findet: Es müsse derselbe Standard gelten wie 2016.
Damals hatten die Republikaner unter Verweis auf das Wahljahr die Versuche der Demokraten und von Präsident Barack Obama (59) blockiert, über einen Nachfolger für den verstorbenen Verfassungsrichter Antonin Scalia abstimmen zu lassen. Doch davon wollen die Republikaner jetzt nichts mehr wissen. Sie wittern ihre Chance: Eine konservative Mehrheit im neunköpfigen Supreme Court!
Nur eine weitere Stimme fehlt zum Patt
Murkowski stellt sich als zweite Senatorin offen gegen Trumps Willen. Zuvor hatte bereits ihre Senatorenkollegin Susan Collins (67) angekündigt, sie wolle das Ergebnis der Präsidentenwahl abwarten. Präsident Trump könne zwar vorerst mit der Nominierung fortfahren – aus «Fairness zum amerikanischen Volk» sollte aber der nächste gewählte Präsident über die Besetzung des Richterpostens auf Lebenszeit entscheiden.
Sollte sich den beiden Senatorinnen noch eine Kollegin oder ein Kollege anschliessen, käme es zu einer Patt-Situation. Dann gilt die Stimme von Vize-Präsident Mike Pence als ausschlaggebend. Sollten sich Murkowski und Collins sogar noch zwei weitere Senatorinnen oder Senatoren anschliessen, hätten die Republikaner – die im Senat aktuell 53 der 100 Sitze besetzen – bei einer Abstimmung sicher keine Mehrheit.
Wer könnte die republikanische Mehrheit sprengen?
Einige als Trump-Kritiker bekannte Senatoren haben sich noch nicht zur möglichen Richterwahl geäussert. Für viele von ihnen dürfte sich angesichts der US-Wahl die Frage stellen, welche Entscheidung bei ihren Wählern besser ankommt und ihnen selbst künftig einen Platz im Senat sichert. Dazu gehören Cory Gardner (46, Colorado), Charles Grassley (87, Iowa) und seine Kollegin Joni Ernst (50), deren Senatssitz in Iowa laut Umfragen auf der Kippe steht.
Besonderes Augenmerk gilt zudem Mitt Romney (73, Utah), dem lautesten Trump-Kritiker im Senat. Und er hat kein Problem, sich mit seiner Partei anzulegen: Als einziger Republikaner stimmte Romney im Februar 2020 im Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump beim Anklagepunkt des Amtsmissbrauchs mit den demokratischen Senatoren.
Während sich Romney selbst noch nicht geäussert hat, kommen Signale aus seinem Lager. So twitterte Stuart Stevens – ein ihm laut «New York Times» weiterhin nahestehender Top-Berater aus Romney Wahlkampf 2012 – Trumps Plan würde zu einer Gegenreaktion führen, die die republikanische Kontrolle über den Senat «beenden» würde.
Selbst Trump-Kritiker Graham will Trump unterstützen
Doch darüber, was den Wählerinnen und Wählern besser gefällt, ist die Partei offenbar gespalten. Selbst Trump-Kritiker Lindsey Graham (65) ist für die schnelle Neubesetzung der wichtigen Richter-Stelle.
«Von den Demokraten über den Umgang mit Richter-Nominierungen belehrt zu werden, ist wie ein Brandstifter, der die Feuerwehr berät», twitterte der Senator aus South Carolina. Er werde US-Präsident Donald Trump «bei allen Bemühungen unterstützen, in Bezug auf das kürzlich durch den Tod von Richter Ginsburg frei gewordene Amt voranzuschreiten».
Ihren Sinneswandel begründen führende Republikaner mit den aktuellen politischen Verhältnissen: Während der demokratische Präsident Barack Obama 2016 einen republikanischen Senat gegen sich hatte, sind Präsident und Senatsmehrheit diesmal aus demselben Lager.
«Niemand sollte überrascht sein, dass eine republikanische Senatsmehrheit über die Nominierung eines republikanischen Präsidenten für den Obersten Gerichtshof abstimmen würde, selbst in einem Präsidentschaftswahljahr», sagte Senator Lamar Alexander (80) am Sonntag. «Die Verfassung gibt den Senatoren die Macht dazu. Die Wähler, die sie gewählt haben, erwarten das.»
Demokraten wollen mehr Richter ernennen
Zusammen mit der Präsidentenwahl wird in diesem Jahr über 35 Senatssitze abgestimmt. Umfragen zufolge ist es nicht ausgeschlossen, dass die Republikaner sowohl das Weisse Haus als auch den Senat verlieren.
Für den Fall, dass sie tatsächlich die Neubesetzung des Obersten Gerichts durchziehen, reift in den Köpfen der Demokraten eine radikale Lösung: Eine Ausweitung des Obersten Gerichts um zwei oder vier Sitze, um die konservative Mehrheit zu verwässern. Dafür sprach sich unter anderem Senator Ed Markey (74) aus Massachusetts aus.
Präsidentschaftskandidat Joe Biden (77) hatte einen solchen Plan unterdessen wiederholt abgelehnt. Er wolle gar nicht erst mit so etwas anfangen, argumentierte Biden im Herbst vergangenen Jahres. Nächstes Mal übernehme die andere Seite die Kontrolle und füge auch Richter hinzu, warnte er. «Wir würden dem Gericht jede Glaubwürdigkeit nehmen. (kin)
Am 3. November 2020 fanden in den USA die Präsidentschaftswahlen statt. Der amtierende Präsident Donald Trump konnte sein Amt nicht verteidigen. Herausforderer Joe Biden hat die Wahl für sich entschieden.
Alle aktuellen Entwicklungen zu den Wahlen und Kandidaten gibt es immer im Newsticker, und alle Artikel zum Thema finden Sie hier auf der US-Wahlen-Seite.
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