Zoff um Geflüchtete, Medien, Justiz, Corona, Regenbogen
So tanzt Orban der EU auf der Nase rum

Seit Jahren provoziert der ungarische Ministerpräsident die EU. Nun könnte das Verhältnis an der Regenbogen-Frage endgültig zerbrechen.
Publiziert: 27.06.2021 um 10:41 Uhr
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Unter Kritikern: Viktor Orban beim EU-Gipfel.
Foto: keystone-sda.ch
Fabienne Kinzelmann

Der EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel war kein angenehmer Termin für Viktor Orban (58). Ein Grossteil der Staats- und Regierungschefs ist hässig auf den ungarischen Ministerpräsidenten.

Am selben Tag war ein Herzensprojekt Orbans in Kraft getreten – das Uefa-Verbot zur Regenbogen-Beleuchtung warf ein globales Schlaglicht darauf: Das neue Gesetz verbietet die Darstellung von nicht heterosexuellen Beziehungen in Büchern und Filmen, die Jugendlichen zugänglich sind. Zudem ist Werbung tabu, in der Homosexuelle oder Transsexuelle als Teil der Lebensrealität erscheinen. EU-Chefin Ursula von der Leyen (62) bezeichnet das Gesetz als «Schande».

Es ist nicht neu, dass europäische Spitzenpolitiker die Nase über den Autokraten in Budapest rümpfen. Neu ist, wie viele es tun – und wie deutlich.

Belgiens Premier Alexander De Croo (45) und andere trugen beim EU-Gipfel eine kleine Regenbogenflagge am Revers, 17 unterzeichneten einen besorgten Brief an den Ratsvorsitzenden Charles Michel (45). Der Niederländer Mark Rutte (54) polterte gar in Richtung Orban: «Für mich haben Sie in der Europäischen Union nichts mehr zu suchen!»

Mit der Regenbogen-Frage ist Viktor Orban endgültig das schwarze Schaf im Club der 27 Staats- und Regierungschefs. Doch schon vorher hat er mehrmals die Brüssler Werte verletzt:

Journalisten werden mundtot gemacht
Eine Kontrollbehörde beaufsichtigt die Presse. Es gab Massenentlassungen bei öffentlich-rechtlichen Medien sowie erheblichen wirtschaftlichen und politischen Druck auf unabhängige Verlage und Anstalten. Reporter ohne Grenzen listet Ungarn in Sachen Pressefreiheit auf Rang 92 von 180 Ländern.

Herzloser Umgang mit Geflüchteten
In der Flüchtlingskrise 2015 machte Orban dicht, warnte vor der «illegalen Einreise» und startete eine ausländerfeindliche Plakatkampagne. Haftähnliche «Transitzonen» an der serbischen Grenze löste er erst nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs auf.

Kampagne gegen Richter
An mehreren Stellen schränkte Orban die Justiz ein. Bei einer umfassenden Justizreform musste er jedoch 2019 zurückkrebsen und verzichtete (vorerst) auf geplante Verwaltungsgerichte: Bei der Bestellung der führenden Richter hätte die Regierung das entscheidende Votum gehabt.

Corona als Diktatur-Brücke
Orban nutzte die Pandemie, um per Dekret zu regieren. Nach dem ersten Lockdown liess er seine Befugnisse für den Fall eines erneuten Ausnahmezustands erweitern. Genutzt hat es den Ungarn wenig: Im Vergleich zur Schweiz starben in Ungarn bislang rund zweieinhalb Mal so viele Menschen an Covid-19.

Die Regenbogen-Frage ist der neuste Akt in dem nun mehr als eine Dekade andauernden Drama zwischen Orban und der EU. Klar zu Orban hielt nur Polen, selbst nicht für einen empathischen Umgang mit der LGTBQI+-Community bekannt. Andere osteuropäische Staaten hielten die Füsse still.

Trotzdem liegt nicht mehr als ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren drin – gegebenenfalls mit Sanktionen. Auch Mark Rutte, der polternde Niederländer, musste einräumen, dass die EU Ungarn nicht aus der Währungs- und Wertegemeinschaft werfen kann. Egal, was Orban tut.

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