Bereits am Freitagmorgen ist das US-Kapitol massiv gesichert. Meterhohe Zäune umspannen den «Capitol Hill» entlang der Independence und der Constitution Avenue sowie der First Street dazwischen. Arbeiter schleppen die letzten Holz-Barrieren heran, Schäferhunde schnüffeln jeden anfahrenden Wagen ab.
Und selbst ein vermeintlicher Spaziergänger mit grossem schwarzen Regenschirm stellt sich als Kapitolspolizist in Zivil heraus.
«Wir sind gut vorbereitet», sagt John (Name geändert), ein bäriger Schwarzer, der seit mehr als 20 Jahren bei der Sicherheitsbehörde arbeitet, zu Blick. «Wir haben seit dem 6. Januar extra trainiert, besseres Equipment und mehr Leute parat.»
Doch die Nervosität lässt sich angesichts der Sicherheitsmassnahmen auf dem Gelände nicht leugnen.
Kapitolspolizei traut friedlichem Protest nicht
Am Samstag findet in Washington die «Justice for J6»-Rally statt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wollen gegen die Festnahmen und Anklagen gegen rund 600 Personen im Zusammenhang mit dem Sturm aufs Kapitol vom 6. Januar protestieren.
«Ohne Gewalt», betont Organisator Matt Braynard, ein ehemaliger Trump-Mitarbeiter. Er ruft die Protestierenden auch dazu auf, keine Fan-Kleidung zu tragen. Es gehe schliesslich nur um «Gerechtigkeit».
«Wir planen für eine friedliche Veranstaltung. Aber es gab einige Gewaltdrohungen im Zusammenhang mit den morgigen Veranstaltungen. Wir haben einen starken Plan, um sicherzustellen, dass es friedlich bleibt und dass wir, falls es zu Gewalt kommt, diese so schnell wie möglich beenden können», sagte der Chef der Kapitolspolizei, Tom Manger, auf einer Pressekonferenz am Freitagnachmittag.
Details zur Taktik will er aus Sicherheitsgründen nicht verraten. «Aber die Kapitolspolizei arbeitet seit Wochen rund um die Uhr daran, dass sich der 6. Januar nicht wiederholt.» Man wolle friedlichen Protest ermöglichen. Aber: «Wir werden Gewalt und kriminelle Handlungen keinesfalls tolerieren.»
Es ist klar: Der 6. Januar steckt noch allen in den Knochen.
Fünf Tote beim Kapitol-Sturm, 140 verletzte Polizisten
Während im Kapitol die Wahlleute-Stimmen der Präsidentschaftswahl ausgezählt wurden, stürmten an diesem Tag Tausende Trump-Anhänger das Kapitol – und trafen auf bemerkenswert unvorbereitete Sicherheitskräfte. Fünf Menschen starben, 140 Polizisten wurden verletzt. Vier Polizisten, die an jenem Tag im Einsatz waren, haben sich inzwischen das Leben genommen.
Noch immer ist der Kapitol-Sturm nicht lückenlos aufgeklärt. In beiden Kammern des US-Kongress laufen noch Untersuchungen – im Fokus stehen auch Angehörige der Kapitolspolizei, die die Randalierer unterstützt haben sollen.
Der Kapitol-Sturm war der bisherige Höhepunkt der grossen Lüge vom angeblichen Wahlbetrug, die der abgewählte Donald Trump (75) immer und immer wieder erzählt hatte. So lange, bis seine Fans tatsächlich glaubten, die Bestätigung von Bidens Wahlsieg im Kapitol auf eigene Faust unterbinden zu müssen.
Donald Trump unterstützt Rally-Botschaft
Trump wird am Samstag nicht vor Ort sein. Am Donnerstag veröffentlichte der Ex-Präsident jedoch ein Statement, in dem er seine Unterstützung für die Botschaft der Protestierenden ausdrückte.
«Unsere Herzen und Gedanken sind bei den Menschen, die im Zusammenhang mit dem Protest vom 6. Januar gegen die manipulierten Präsidentschaftswahlen so ungerecht verfolgt werden», heisst es in der am Donnerstag veröffentlichten Erklärung. «Zu allem Überfluss hat dies eindeutig bewiesen, dass wir ein zweigeteiltes Justizsystem haben. Am Ende aber wird die Gerechtigkeit siegen!»
Für die «Justice for J6»-Kundgebung am Samstag rechnen die Sicherheitsbehörden bislang «nur» mit 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Trotzdem setzen sie auf das maximale Sicherheitsaufgebot.
«Wären dumm, wenn wir Drohungen nicht ernstnehmen»
Neben speziellen Trainings und Barrikaden stehen auch 100 Soldaten der Nationalgarde bereit, um notfalls einzugreifen.
Den Sicherheitsbehörden liegen offenbar zahlreiche Drohungen gegen Einzelpersonen und Regierungsgebäude vor. «Wir wären dumm, wenn wir die Drohungen nicht ernst nehmen würden», so Chef-Polizist Manger am Freitag.
Ihnen bereite sowohl ein sich aufheizender Mob Sorgen als auch «lone wolfs» – mögliche Einzeltäter. Dazu würden Gegendemonstrationen genau beobachtet und versucht, die Protestierenden der verschiedenen Lager voneinander fernzuhalten.