«Nüchtern über das Kopfsteinpflaster zu laufen, ist schon schwer genug. Wenn man betrunken ist, ist es ein olympischer Sport», erzählt Megan Clawson. Sie wohnte drei Jahre lang im Tower of London – und teilte per Tiktok und Instagram mit ihren Followern, was es heisst, eine Touristenattraktion zu bewohnen. Betrunken nach Hause zu kommen, sei dabei besonders unangenehm gewesen. Nicht nur wegen des Kopfsteinpflasters, sondern auch wegen zahlreicher Überwachungskameras, die sie beim Herumstolpern aufnahmen.
Um nach einem Pub-Besuch überhaupt hereingelassen zu werden, musste Clawson ausserdem stets die Uhrzeit im Auge behalten. Denn: Um 21:30 Uhr findet täglich die «Zeremonie der Schlüssel» statt, bei der die Burg abgeriegelt wird. Die rund 700-Jahre alte Tradition dauert eine halbe Stunde. Währenddessen kommt niemand in den Tower.
Auch wenn Clawson Besuch hatte, musste dieser ständig die Zeit im Auge behalten. «Ich musste ihnen sagen: ‹Wenn ihr nicht bis Mitternacht verschwindet, seid ihr bis morgen früh hier eingesperrt›», erzählt die Britin.
Das Tower-Leben war wie in einem Dorf
Ein weiterer Nachteil lag darin, Essen zu bestellen. Lieferanten würden die Bestellung für einen Scherz halten oder nicht wissen, wie sie die Pizza in die Festung bringen können. Das nahm Clawson aber gerne in Kauf. Denn abgesehen davon schwärmt sie von ihrer Zeit im Tower. Für sie fühlte sich das Leben dort wie in einem Dorf an – und das inmitten der Riesen-Metropole.
In der Burg gibt es sogar ein Pub. «Mit meiner Addresse bekam ich sehr privilegierten Zugang zu einem der exklusivsten Pubs der Welt, dem Keys», erzählt Clawson. Man könne sich das Lokal «wie jede andere Dorf-Beiz» vorstellen – gemütlich und voller Bier. Die Tower-Bewohner kamen dort oft zusammen. Auch schmiss Clairon gerne Partys in dem Lokal. Denn: Gäste sind im Tower erlaubt.
Touristen weckten sie eines Tages auf
Ebenso erlaubt sind Touristen. Massen von ihnen besuchen täglich den Tower. Einmal kam es dabei zu einer unangenehmen Situation. Während Corona gingen die Storen von Clawsons Schlafzimmer kaputt. Da zu der Zeit sowieso keine Touristen in den Tower durften, dachte sie sich nicht viel dabei – bis die Sehenswürdigkeit eines Morgens unangekündigt wieder ihre Türen öffnete. Clawson wurde von Touristen geweckt, die vor ihrem Fenster standen. Sie machten Bilder von ihrem Zimmer, als sei es Teil der Attraktion. Clawson hing kurzerhand ein Handtuch der Boyband One Direction an das Fenster. «Es war als vorübergehende Lösung gedacht, die dann doch länger blieb und zu einem kleinen Scherz wurde», erzählt die Britin.
Im Tower of London konnte Clawson leben, weil ihr Vater ein sogenannter «Beefeater» war. Sie gehören seit 1485 zur zeremonielle Wache und beschützen den Tower. Um ihren Rang zu erhalten, müssen Beefeater mindestens 20 Jahre in der britischen Armee gedient haben. Nachdem ihr Vater dieses Jahr schliesslich seinen Posten aufgegeben hatte, mussten Clawson und er ausziehen. Seither vermisst sie vor allem eins: die restlichen Bewohner. «Sie wurden zu meiner Familie und zu meinen Freunden», sagt sie. (mrs)