«Serben glauben, dass die Schweiz im Spiel untergeht»
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Blick-Reporter in Belgrad:«Serben glauben, dass die Schweiz im Spiel untergeht»

WM-Fieber trotz Doppeladler
So bereitet sich Belgrad auf den Fussball-Knüller vor

Die serbische Hauptstadt erinnert sich noch gut an die Provokation der Schweizer Nati bei der WM 2018. Heimzahlen will man es den Schweizern heute Abend auf sportliche Art.
Publiziert: 02.12.2022 um 01:21 Uhr
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Aktualisiert: 02.12.2022 um 12:02 Uhr
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Xherdan Shaqiri (31) strahlt vor dem Serbien-Spiel viel Zuversicht aus.
Foto: keystone-sda.ch
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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Die Sache mit dem Doppeladler, das sei eigentlich ein riesengrosses Missverständnis, sagt Milos Jovic (38) beim Feierabendbier in einer hippen Belgrader Stadtknelle. «Hast du dir schon einmal die serbische Flagge angeschaut? Da ist ebenfalls ein Doppeladler drauf, genau wie auf der albanischen.»

Beide Länder hätte sich das oströmische Kaisersymbol bereits im 19. Jahrhundert auf ihre Flaggen gepackt. Serbien genauso wie Albanien. Wenn also Granit Xhaka (30) oder Xherdan Shaqiri (31) auf dem Fussballplatz rumrennen und mit ihren Händen den Doppeladler mimen, dann freue er sich auch als Serbe, sagt der Belgrader Jovic. «Wer den Doppeladler mimt, der zollt indirekt auch uns Respekt.»

Vier Jahre ist es her, dass die beiden Schweizer Nationalspieler mit den kosovo-albanischen Wurzeln bei der letzten WM-Begegnung zwischen der Schweiz und Serbien ihre Tore mit dem Doppeladler-Handzeichen feierten. Die Fifa hat Verwarnungen ausgesprochen für die vermeintlich nationalistische Provokation. Die Spieler zeigen sich geläutert. Und dennoch: Ganz so entspannt wie Milos Jovic sehen die meisten Serben die Sache mit dem Doppeladler vor der heutigen Neuauflage des WM-Duells Schweiz – Serbien nicht.

«Die Schweiz wird keinen Grund zum Jubeln haben»

«Es hat wehgetan, was beim letzten Spiel auf dem Feld passiert ist», sagt Iva Jevtic (21). Politische Gesten gehörten nicht aufs Spielfeld, findet die junge Belgrader Sportjournalistin. «Ich hoffe, die Spieler haben ihre Lektion gelernt.»

Ob sie das wirklich haben, das würden wir nie erfahren, ruft Nikola Preocanin (35) draussen in der nasskalten Belgrader Fussgängerzone in den Winterwind. «Ihr Schweizer werdet gegen uns gar kein Tor schiessen. Die Welt wird nie wissen, wie eure Spieler genau gejubelt hätten.» Serbien werde gewinnen, danach im Achtelfinal Portugal raushauen, «und dann werden wir weitersehen», sagt der Belgrader Fussballfan. Schliesslich tut er seinen Unmut darüber kund, dass die Schweiz überhaupt albanischstämmige Spieler in ihrer Nationalmannschaft aufstellen lasse.

Solche nationalistischen Ansichten sind unter serbischen Fussballfans keine Seltenheit. Besonders den Anhängern von Roter Stern Belgrad wird nachgesagt, dass sie sich von der serbischen Regierung gerne instrumentalisieren und für politische Aktionen missbrauchen lassen. In Belgrader Fussballkreisen kursieren wildeste Gerüchte über die Verbindungen zwischen Serbiens Regierung und den gewaltbereiten Anhängern der Mannschaft aus der Hauptstadt.

Fussballverbot für alle Balkan-Völker?

Man soll das nicht alles glauben, sagt die Belgrader Künstlerin Jana Danilovic (33). Trotzdem habe der Fussball ihrem Land bislang wenig Erfreuliches eingebracht. «Den Völkern des Balkans sollte es mindestens 50 Jahre lang verboten werden, Fussball zu spielen. Sie sollten zuerst ihre wirklichen Probleme lösen, bevor sie wieder einen Ball herumkicken dürfen und damit nur neue Spannungen kreieren», sagt Danilovic.

Gerade hat sie ein neues Strassenkunstwerk fertiggestellt: Sie hat ein riesiges Industriesilo am Ufer der verdreckten Donau, einem der beiden Stadtflüsse Belgrads, bemalt. Darauf zu sehen ist eine Frau, die die verseuchten Fische aus dem Fluss umarmt. «Wir hätten genügend echte Probleme hier, die man mal anpacken könnte», sagt Danilovic.

Vorerst aber dominiert das runde Leder die Stadtgespräche in der serbischen Millionenmetropole. Zwar gibt es auch hier weder Public Viewings noch Fanzonen. In jedem noch so schicken Café aber flimmern die WM-Spiele über Grossbildschirme. «Das ganze Land fiebert mit, der neue serbische Angriffsfussball hat uns in den Bann gezogen», sagt Vladimir Filipovic (33). Filipovic leitet seit einem knappen Jahr die Sportabteilung von «Blic», der grössten Newsplattform des Landes. Davor kümmerte sich der Journalist bei «Blic» um internationale Polit-Storys. Der perfekte Gesprächspartner also vor dem politisch aufgeladenen WM-Spiel von heute Abend.

«Die Schweizer Nati ist wie eine Armee»

Filipovic aber glaubt nicht, dass der Match zwischen der Schweiz und Serbien erneut ausarten wird. «Die Hälfte unseres Teams gehört zur Generation Z. Die waren noch nicht mal auf der Welt während des Kosovo-Krieges Ende der 1990er-Jahre. Die haben kein Interesse, sich in diese alten Streitigkeiten hineinzusteigern», sagt Filipovic. Zudem habe Serbien unter dem neuen Trainer Dragan Stojkovic (57) sportlich riesige Fortschritte gemacht. «Wir wollen uns jetzt über sportliche Erfolge freuen, statt uns von den politischen Nebengeräuschen ablenken zu lassen.»

Gegen die Schweiz aber werde das schwierig, sagt Filipovic. «Eure Mannschaft ist wie eine kleine Armee: extrem kompakt, top vernetzt, bestens organisiert. Und Murat Yakin (48) hat ihr jetzt noch eine zusätzliche Motivationsspritze verpasst. Das wird eine harte Nuss für uns.»

Heute Abend um 22 Uhr wissen wir, ob Serbien sie geknackt hat oder ob die Schweiz ihren WM-Höhenflug fortsetzt – mit oder ohne Doppeladler.

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