Zwei Stunden und sieben Minuten: So lange dauerte das ziemlich sicher wirrste TV-Interview der vergangenen Jahre. Hauptakteure: Kreml-Herrscher Wladimir Putin (71) und sein amerikanischer Gast, der einstige «Fox News»-Star und heute unabhängige Fernsehjournalist Tucker Carlson (54).
Im ersten Interview mit einem westlichen Medienvertreter seit Kriegsausbruch liess der russische Präsident tief blicken. Unterhaltungswert hatte der faktische Monolog des Moskauer Kriegstreibers kaum. Fünf schockierende Erkenntnisse aber bleiben.
Putin ist eine Schnarchnase
Langweilig! Ein anderes Prädikat hat die sprunghaft und wirr vorgetragene Geschichtslektion des russischen Präsidenten nicht verdient. Geschlagene 27 Minuten dauerte seine Antwort auf die erste Frage von Carlson, der sich in seiner im Nachhinein aufgezeichneten Anmoderation des Interviews selbst «schockiert» zeigte über Putins Geschwafel. Der Russe will «ein bisschen historischen Kontext» liefern und erzählt dann von irgendwelchen Herrschern im 9. Jahrhundert, von Kiewer Prinzen und alten Moskauer Deals. Tucker hält wacker durch, versucht nachzuhaken. Aber Putin plaudert ungestört weiter.
Ein Einschläferungsversuch? Vielleicht. Vom Chef der vermeintlich krassen Propaganda-Macht Russland hätte man sich mehr Fingerspitzengefühl für die Konzentrationsspanne seines Publikums erwartet. Zum Glück konnte man das Interview mit zweifacher Geschwindigkeit schauen.
Eines aber macht die wirre Geschichtslektion gleich zu Beginn des Gesprächs klar: Putin geht es bei seinem Krieg gegen die Ukraine nicht wirklich um ernstzunehmende Sicherheitsinteressen. Er fühlt sich nicht wirklich bedroht. Er argumentiert – ganz ähnlich wie einst Adolf Hitler – aus historisch-nationalistischen Gründen für eine «Wiedervereinigung» all dessen, das gar nie wirklich zusammengehörte.
Putin glaubt, Bill Clinton sei an allem schuld
Kein Witz: Nach genau 31 Minuten bringt Putin den einstigen demokratischen US-Präsidenten ins Spiel und behauptet, er sei es gewesen, der die geplante Annäherung zwischen Russland und der Nato gestoppt habe. Russland hätte sich zu Beginn des Jahrtausends für eine Nato-Mitgliedschaft interessiert. «Wir hätten einen gemeinsamen Weg einschlagen können», sagt Putin. Clinton aber habe ihm klar signalisiert, dass es dafür keinen Raum gäbe.
Schon früher hätte der Westen russische Avancen abgeschmettert. Etwa, als Russland für ein gemeinsames Raketenabwehrsystem mit den Amerikanern und Europa geweibelt habe. «Das wollte der Westen nicht. Jetzt sind wir bei der Entwicklung von Hyperschall-Langstreckenraketen allen voraus», drohte Putin.
Die alte Mär der Nato, die sich bis an die russischen Grenzen «erweitern» würde, durfte hier natürlich nicht fehlen. Dass die Nato kein wucherndes Konstrukt ist, sondern dass es souveräne Nationalstaaten sind, die aus freien Stücken dem Bündnis beitreten wollen, das lässt Putin selbstverständlich aus.
Der Krieg wird noch lange dauern
«Wir kämpfen bis zum Schluss», liess Putin mit Blick auf die tobenden Schlachten in der Ukraine verlauten. Die Verhandlungen seien gescheitert. Und solange Amerika und andere westliche Länder der Ukraine Waffen lieferten, dauere die «Militärische Spezial-Aktion» (Putin bleibt bei diesem Euphemismus) weiter an. Sein Land sei grundsätzlich bereit zu Verhandlungen, sagte Putin. Und er sei sicher, dass die ukrainische Regierung nach weiteren Massenmobilisierungen und aufgrund der sich zuspitzenden politischen Krise im Land bald zu Verhandlungen gezwungen sei. Ein anderes Ende könne es nicht geben. «Russland ist auf dem Schlachtfeld strategisch nicht zu besiegen.»
Selenski und seine Regierung sehen das bekanntlich anders. Verhandlungen mit Russland hat der ukrainische Präsident kategorisch ausgeschlossen. Ein baldiges Ende des Krieges ist nicht in Sicht.
Tucker Carlsons Sabotage-Akt hat nicht funktioniert
Der amerikanische TV-Star ist ein mutiger Mann. Jetzt nach Moskau zu reisen und sich Putin zu stellen, ist keine einfache Sache. Und über weite Strecken schien Carlson ernsthaft bemüht, dem labernden Putin ein paar Zusagen zu entlocken.
Zwischendurch aber blitzten die unschönen Absichten des Verschwörungstheoretikers Carlson durch. Etwa dann, als er versuchte, mit einer suggestiven Frage Kamala Harris die Schuld am Ukraine-Krieg in die Schuhe zu schieben. Ob es nicht die US-Vizepräsidentin gewesen sei, die mit ihrem Nato-Beitrittsversprechen an Selenski vor rund zwei Jahren die «entscheidende Provokation» für den Krieg geliefert habe, wollte Carlson wissen. Putin überging die Frage.
Genau wie jene nach den «wahren Machtzentren» der USA, die Carlson nicht im Weissen Haus, sondern im verschwörerischen «deep state» (also dem undurchsichtigen Beamtenstab) vermutet. Putin winkte ab und behauptete schlicht, er verstehe das komplizierte US-System selbst nicht so richtig.
Carlson hat die Soundbites, die er sich für seine Sendungen erhofft hatte, nicht gekriegt.
Evan Gershkovich kommt noch lange nicht frei
Der 33-jährige Journalist, der für das «Wallstreet Journal» aus Russland berichtete und Anfang 2023 in Moskau wegen angeblicher Spionage verhaftet wurde, muss sich gedulden. Carlson – das muss man ihm lassen – fragte gegen Ende des Interviews hartnäckig nach, ob Putin nicht bereit wäre, den offensichtlich wegen konstruierter Vorwürfe eingesperrten Reporter freizulassen und mit ihm, Carlson, zurück in die USA zu schicken.
Putin machte unmissverständlich klar, dass er das nur in Betracht ziehe, falls Deutschland den als Tiergartenmörder bekanntgewordenen russischen Spion Wadim Krassikow freilasse. Der hatte im Jahr 2019 im Berliner Stadtpark einen Tschetschenen meuchlings ermordet und wurde von einem deutschen Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Deutschland wird ihn nicht freilassen. Und Gershkovich wird weiter darben müssen.
Carlson aber hats versucht – mit mehrfachen Nachfragen. Falls er damit einen Prozess in Gang gebracht hat, an dessen Ende der unschuldige amerikanische Journalist freikommt, haben sich die ganzen wirren zwei Stunden und sieben Minuten doch noch gelohnt.