Der Londoner High Court will am Dienstag um 11.30 Uhr Schweizer Zeit sein schriftliches Urteil veröffentlichen in der Frage, ob Wikileaks-Gründer Julian Assange Berufung gegen eine frühere Entscheidung einlegen darf. Sollte das Gericht dies ablehnen, wäre der Rechtsweg ausgeschöpft und der Auslieferungsbeschluss rechtskräftig. Assange bliebe nur noch der Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Die US-Regierung will dem Australier wegen Spionagevorwürfen den Prozess machen. Ihm drohen nach Angaben seiner Unterstützer bis zu 175 Jahre Haft. Washington wirft ihm vor, mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen, veröffentlicht und damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht zu haben. Assange sieht sich hingegen wegen einer journalistischen Tätigkeit strafrechtlich verfolgt. Seine Unterstützer warnen vor einem gefährlichen Präzedenzfall, der schwerwiegende Folgen für den investigativen Journalismus haben könnte.
Australische Regierung drängt auf Ende der Verfolgung
Bei einer zweitägigen Anhörung im Februar hatten beide Seiten ihre Argumente dargelegt. Assanges Anwälte führten unter anderem an, der Australier werde aus politischen Gründen verfolgt und dürfe daher nicht ausgeliefert werden. Die Anwälte der US-Justiz verwiesen auf negative Konsequenzen der Veröffentlichung vieler Tausend geheimer Dokumente durch Wikileaks.
Hunderte Menschen hatten vor dem Gerichtsgebäude für eine sofortige Freilassung Assanges demonstriert. Auch Journalistenverbände, Menschenrechtsorganisationen und Politiker setzen sich für ihn ein. Nicht zuletzt die australische Regierung drängt inzwischen auf ein Ende der Strafverfolgung.
Ehefrau fürchtet um sein Leben
Assange und seine Unterstützer hoffen auf ein volles Berufungsverfahren. Sollte der Antrag darauf jedoch abgelehnt werden, droht dem 52-Jährigen nach Angaben seiner Frau jedoch die sofortige Auslieferung. «Sobald es eine Entscheidung gibt und falls sie gegen Julian ausfallen sollte, werden ihn US-Polizisten auf einem US-Stützpunkt in Grossbritannien in ein US-Militärflugzeug setzen und in die Vereinigten Staaten bringen», sagte sie in einer auf sozialen Medien verbreiteten Videobotschaft nach der Anhörung. Zwar werde sein Team umgehend einen Antrag auf einstweilige Verfügung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stellen, doch es gebe die Sorge, dass die britische Regierung eine solche Anordnung ignorieren könnte.
Stella Assange fürchtet wegen der erwarteten harten Haftbedingungen in den USA und der labilen Psyche ihres Mannes um sein Leben. Suizid-Gefahr war auch der Grund, warum eine Richterin in erster Instanz die Auslieferung zunächst abgelehnt hatte. Doch die Entscheidung wurde später gekippt. Die britische Regierung stimmte seiner Auslieferung bereits zu.
Assange sitzt seit beinahe fünf Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London. Vor seiner Festnahme im April 2019 hatte er sich mehrere Jahre in der ecuadorianischen Botschaft in London dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden entzogen. Diese hatten ihn zunächst wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden ins Visier genommen. Diese Anschuldigungen wurden später jedoch aus Mangel an Beweisen fallen gelassen. (SDA)