Wirbel im Insekten-Bereich
Darum darf dieser Käfer wie Adolf Hitler heissen

Strassen werden umbenannt, Denkmäler entfernt und Bücher umformuliert. Auch in der Zoologie ist eine Diskussion entbrannt: Sollten Hitler-Käfer und Mussolini-Falter neue Namen bekommen?
Publiziert: 16.05.2024 um 11:11 Uhr
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Aktualisiert: 20.05.2024 um 12:05 Uhr
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Dieser kleine Racker ist nach dem deutschen Diktator Adolf Hitler benannt.
Foto: Wikipedia

Gerade mal fünf Millimeter ist er klein und lebt eher verborgen in Höhlen. Obwohl selbst viele Fachleute den Käfer noch nie zu Gesicht bekommen haben, erregt er die Gemüter. Der Grund ist sein wissenschaftlicher Name: Anophthalmus hitleri.

Der braune, augenlose Käfer wurde nach Adolf Hitler benannt – und steht wegen seines Namens bei bestimmten Sammlern hoch im Kurs. Ein anderer Stein des Anstosses ist im Naturkundemuseum in Berlin ausgestellt: der Dinosaurier Dysalotosaurus lettowvorbecki, benannt nach Paul von Lettow-Vorbeck (1870–1964), der als Kommandant der deutschen Kolonialarmee an Gräueltaten in Afrika beteiligt war.

Es gibt klare Vorgaben bei der Namensvergabe

Beispiele wie diese gibt es einige. Meist sind es Tiere, die vor langer Zeit wissenschaftlich beschrieben wurden. Doch darf man das in Zeiten hinnehmen, in denen Strassen umbenannt, Denkmäler abgerissen und generell kritisch über Sprache nachgedacht wird? Auch in der Wissenschaftsgemeinde wird durchaus über umstrittene Tiernamen diskutiert. Doch so schnell wird sich wohl nichts ändern. 

Jedes Jahr werden weltweit Tausende neue Tierarten beschrieben. Wie die Taxonominnen und Taxonomen dabei vorzugehen haben, ist in den internationalen Regeln für die zoologische Nomenklatur festgelegt. Inhaltliche Vorgaben mache die Nomenklatur dabei nicht, sagt der Zoologie-Professor Michael Ohl vom Museum für Naturkunde in Berlin. Die Forschenden können die Namen frei wählen, sofern diese technisch korrekt gebildet werden. «Diese gelten, sobald sie publiziert sind und können dann auch nicht mehr gestrichen werden.»

Mottenart heisst wie Trump

Eine lange Tradition habe dabei, neu entdeckte Tierarten nach Personen zu benennen – um einem grosszügigen Geldgeber zu schmeicheln, Familie oder Freunde zu ehren oder mithilfe prominenter Namensgeber Aufmerksamkeit zu erregen, wie Ohl in seinem Buch «Die Kunst der Benennung» schreibt. So trägt eine Tausendfüssler-Art den Namen von Popstar Taylor Swift (34), Käfer sind nach dem Schauspieler Leonardo DiCaprio (49) und der Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg (21) benannt, eine Mottenart erinnert an den früheren US-Präsidenten Donald Trump (77).

Am Beispiel des Hitler-Käfers und eines nach dem italienischen Diktator Benito Mussolini (1883–1945) benannten Falters zeigt sich besonders deutlich, dass die Benennung nach Personen zum Problem werden kann. Was ist, wenn eine Politikerin in extremistische Kreise abdriftet oder ein Filmstar wegen sexueller Übergriffe vor Gericht steht? Artnamen können nach Ansicht von manchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch diskriminierend oder rassistisch sein.

Hunderttausende wissenschaftliche Namen infrage gestellt

Die Paläobiologin Emma Dunne von der Universität Erlangen-Nürnberg hat zusammen mit anderen Fachleuten die Namen aller bekannten, etwa 1500 Dinosaurier untersucht. Vor der Publikation möchte die Wissenschaftlerin nicht über die Ergebnisse der Studie sprechen. Laut einem Bericht der Fachzeitschrift «Nature» fand das Team unter anderem heraus, dass viele zwischen 1908 und 1920 in Tansania entdeckte Fossilien nach deutschen Forschern statt nach einheimischen Expeditionsteilnehmern benannt wurden oder die Namen leiteten sich von kolonialen Ortsbezeichnungen ab. Die Mehrheit der Namen mit einer geschlechtsspezifischen Endung war demnach ausserdem männlich.

Etwa 20 Prozent der Tiernamen sind nach einer Schätzung der internationalen Kommission für zoologische Nomenklatur – dem Gremium, das die Regeln zur Benennung herausgibt – sogenannte Eponyme. Das sind Namen, die Personen ehren sollen. Diese seien damit die grösste Gruppe von Namen, die Anstoss erregen könnten, schreibt die Kommission in einer Stellungnahme. Toponyme, also Ortsnamen, könnten ebenfalls als beleidigend empfunden werden. Sie machten etwa 10 Prozent der Namen aus. «Somit könnten mehrere Hunderttausend akzeptierte wissenschaftliche Namen infrage gestellt werden», heisst es.

Umbenennung aus ethischen Gründen abgelehnt

Bei den Dinosaurier-Namen bewerteten die Forschenden weniger als drei Prozent als problematisch. In Zahlen ausgedrückt sei das Problem wirklich unbedeutend, erklärt Mitautor Evangelos Vlachos vom Paläontologischen Museum im argentinischen Trelew in dem «Nature»-Bericht. Dennoch sei es von grosser Relevanz: Man müsse die bisherige Praxis kritisch überprüfen und versuchen, Fehler zu korrigieren, fordert er.

Die Kommission lehnt eine Umbenennung von Tieren aus ethischen Gründen ab. «Wir verstehen natürlich, dass manche Namen Unbehagen oder Anstoss erregen können», sagt der Taxonomist Daniel Whitmore vom Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart, der Mitglied der Kommission ist. Priorität habe aber eine universelle und stabile Nomenklatur, damit es keine Verwirrung gebe. «Es ist nicht unsere Aufgabe, darüber zu urteilen, ob Namen beleidigend oder ethisch nicht vertretbar sind, denn das ist eine sehr subjektive und persönliche Angelegenheit», ergänzt er. «Es wäre also schwierig, eine Entscheidung zu treffen, mit der alle zufrieden sind.»

«Druck aus der Gesellschaft und der Wissenschaftsgemeinschaft ist gross»

Dass es nach den Nomenklatur-Regeln aktuell nicht möglich ist, Tierarten umzubenennen, kann der Berliner Zoologe Ohl nachvollziehen. «Da will die Kommission auch ohne weiteres nicht ran, weil sie nicht weiss, wie das im Detail umgesetzt werden muss, um Klarheit zu schaffen – und weil sie Angst hat, die Büchse der Pandora zu öffnen», sagt er. Aber die Kommission müsse sich damit auseinandersetzen und Kriterien finden, wie mit ethisch fragwürdigen Namen am besten umgegangen werden sollte. «Der Druck aus der Gesellschaft und der Wissenschaftsgemeinschaft ist gross.»

Der Taxonomist Rohan Pethiyagoda aus Sri Lanka findet: Ja. Wenn Tierarten umbenannt werden würden, hätte das aus seiner Sicht zur Folge, dass Forschende wie er von ihrer eigentlichen Aufgabe abgelenkt würden, die biologische Vielfalt der Erde zu beschreiben. Stattdessen müssten sie sich mit Themen beschäftigen, die in Ländern wie Sri Lanka keine Rolle spielten, schreibt Pethiyagoda im Fachjournal «Megataxa». Wissenschaftliche Namen zu ändern hält er nicht für sinnvoll: Die meisten Arten haben ihm zufolge Alltagsnamen, die wissenschaftlichen Namen verwendeten in der Regel nur Fachleute.

Umbenennung von Hitler-Käfer würde nicht viel ändern

Auch Whitmore denkt, dass die Diskussion nicht die breite Masse beschäftigt. Wenn wissenschaftliche Namen geändert werden sollen, kann man einen Antrag bei der Kommission einreichen, die dann in einem längeren Entscheidungsprozess unter Einbeziehung der Wissenschaftsgemeinde entscheidet, wie der Experte erläutert. Solche Anträge habe es gegeben, wenn etwa Namen fachlich falsch waren. «Bisher hat aber niemand die Änderungen eines Namens aus ethischen Gründen beantragt.» Auch nicht bei Anophthalmus hitleri.

«In einem Fall wie bei dem Hitler Käfer würde eine Umbenennung gar nicht viel ändern», meint Ohl. Denn der Name würde nicht komplett verschwinden. Oft haben Tiere mehrere wissenschaftliche Bezeichnungen, in einer Art Katalog werden diese deshalb alle unter dem aktuell gültigen Namen aufgelistet. Wer den Hitler-Käfer wegen des Namens sammeln wolle, werde dies auch weiter tun, meint Ohl.

Eine Möglichkeit, sich kritisch mit umstrittenen Tiernamen auseinanderzusetzen, wäre zum Beispiel, in Museen deren Geschichte zu thematisieren, um zum Nachdenken anzuregen. Beim Dysalotosaurus lettowvorbecki hat das Berliner Naturkundemuseum das bereits getan. «Die strengen Regeln der Taxonomie schliessen leider eine spätere Änderung von einmal vergebenen Artnamen aus», heisst es auf einer Schautafel.

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