«Pädo-Muslime raus aus unseren Strassen»: Mit solchen und ähnlichen rassistischen Parolen ziehen aktuell Hunderte Rechtsextreme durch die Städte Grossbritanniens. Mit Backsteinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern greifen sie Geschäfte von mutmasslich ausländischen Personen an. Auch Polizisten werden durch die Demonstrierenden schwer verletzt. Seit rund einer Woche erlebt Grossbritannien den «schlimmsten Ausbruch ziviler Unruhen seit mehr als einem Jahrzehnt», wie «The Guardian» schreibt.
Fast 150 Festnahmen
Mit antimuslimischen Krawallen haben die Ultranationalisten in mehreren britischen Städten schwere Schäden angerichtet und Polizisten verletzt. Landesweit wurden nach Polizeiangaben 147 Menschen festgenommen. Die Behörden rüsten sich für weitere Ausschreitungen, die als Reaktion auf eine Bluttat mit drei erstochenen Mädchen vor einer Woche gelten.
In der nordenglischen Stadt Rotherham griffen Vermummte ein Holiday-Inn-Hotel an, in dem Asylbewerber untergebracht werden. «Holt sie raus», riefen sie. Mehrere Fenster wurden eingeworfen und Polizisten mit Stühlen und Zaunlatten sowie Schaum aus einem Feuerlöscher attackiert. Mindestens ein Beamter wurde verletzt. Dem Sender Sky News zufolge drangen einige Menschen in das Gebäude ein. Unklar ist, ob dort derzeit Menschen wohnen.
Im nordwestenglischen Blackpool schlugen sich Ultranationalisten und Gegendemonstranten. Festnahmen gab es auch in den nahe gelegenen Städten Preston und Blackburn sowie im westenglischen Bristol, im mittelenglischen Stoke-on-Trent und in Kingston upon Hull in Nordostengland, wie die Polizei mitteilte.
Weitere Migrantenunterkunft angegriffen
Später attackierten Randalierer eine weitere Unterkunft für Asylbewerber. Ein Mob bewerfe das Hotel in Tamworth nordöstlich von Birmingham mit Gegenständen, berichtete der Sender Sky News.
Clips in sozialen Medien zeigten, wie Feuer an einem Teil des Gebäudes gelegt wurde. Dafür gab es keine offizielle Bestätigung. Die Polizei sprach von «gewalttätigen Handlungen des Banditentums», ein Beamter sei verletzt worden.
Falschbehauptungen über Täter verbreitet
Auslöser für die Proteste ist der tragische Mord an drei jungen Mädchen (†6, †7, †9) in der Küstenstadt Southport am Montag. Der Brite Axel Rudakubana (17) erstach die Mädchen bei einem «Taylor Swift»-Tanzkurs, acht weitere Kinder und zwei Erwachsene wurden verletzt. Offenbar haben rechtsextreme Aktivisten die Tragödie von Southport zum Anlass genommen, ihre eigenen Botschaften auf den grossen Plattformen der sozialen Medien zu verbreiten.
Zu den Protesten – oft nahe einer Moschee oder einem muslimischen Gemeindezentrum – aufgerufen hatte unter anderem der bekannte Rechtsradikale und Gründer der English Defence League, Stephen Yaxley-Lennon, der unter dem Namen Tommy Robinson bekannt ist. Er floh vor einer Woche aus dem Land, nachdem er in einem Fall wegen Verleumdung nicht zu einem Gerichtstermin erschienen war. Aus dem Ausland verbreitete Robinson nun Verschwörungstheorien.
Bereits wenige Stunden nach der grausamen Tat schwirrten Falschmeldungen über den Täter durchs Netz. Beim Teenager soll es sich um einen Asylbewerber aus Ruanda handeln. Tatsächlich stammt Rudakubana aus einer ruandischen Familie – wurde aber in Grossbritannien geboren. Dass sich die verbreitete Behauptung als falsch erwies, interessierte kaum jemanden.
Politiker verstärkt Verschwörungstheorien
Die Proteste breiteten sich aus wie ein Lauffeuer. Nazi-Parolen, rassistische Sprüche und Sankt-Georgs-Kreuze tauchten überall in Grossbritannien auf. Unter Rassismus und Gewalt mischen sich Verschwörungstheorien, die besagen, dass die «Eliten» irgendwie die Wahrheit vertuschen – einschliesslich des Missbrauchs britischer Kinder.
Auch ein offizieller Abgeordneter des britischen Parlaments, Nigel Farage (60), bläst in dieses Horn. Der Rechtsaussenpolitiker stellte in einem X-Video vergangene Woche infrage, ob die Polizei wirklich die ganze Wahrheit über den Angreifer von Southport publiziert habe. Damit heizte sich die Stimmung natürlich noch mehr auf, viele Demonstrierende nutzten Farages Aussage als Legitimation für ihre Gewalt. Die britische Polizei fühlte sich sogar gezwungen, Details über Rudakubana zu publizieren – obwohl er sich noch im Schutzalter befindet.
Keir Starmer vor Bewährungsprobe
Diese gewaltsamen Zusammenstösse sind die erste grosse Herausforderung für die neue Regierung von Labour-Chef Keir Starmer (61). Am Samstag kündigte er an, weitere Polizeieinheiten zu entsenden, die Frage eines nationalen Notstands steht im Raum. Am Sonntag kündigte er dann ein hartes Durchgreifen an. An die Randalierer gewandt, sagte er: «Ihr werdet es bereuen.» Es handle sich nicht um Proteste, sondern um rechtsextremes Banditentum ohne jede Rechtfertigung.
Doch wie konnte es so weit kommen? Laut BBC Verify, der Investigativ-Abteilung der BBC, organisieren sich die Demonstrierenden in kleinen lokalen Facebook-Gruppen. Eine Dachorganisation oder einen Hauptorganisator gibt es nicht – was die Zerschlagung eines solchen Netzwerks sehr schwierig macht. Es wird sich zeigen, wie der neue britische Premierminister mit dieser Situation umgeht.