Alarmstimmung in etablierten Partei- und Medienkreisen in Deutschland: der kometenhafte Aufstieg der Rechtspartei AfD. In ostdeutschen Bundesländern erzielt die Partei 30 Prozent und mehr in Umfragen. Auch in westdeutschen Bundesländern ist sie zunehmend am Erstarken.
Deutschlands und zugleich Europas grösste Tageszeitung «Bild» titelt schon: «Kann die AfD jetzt sogar stärkste Kraft werden?» Die Zeitung spricht von einem «traurigen Trend» und der «bangen Frage», ob für die AfD selbst Platz eins erreichbar ist. Dies, nachdem die AfD in der Sonntagsfrage-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa den höchsten, jemals für die Partei gemessenen Wert erreicht hat. Vor einem Jahr überzeugte die Partei nur halb so viele Menschen wie jetzt.
Experten sehen den Hauptgrund für die Stärke der AfD in der Schwäche der Ampel-Regierung. «Wenn eine Oppositionspartei im Aufwind ist, muss sich als Erstes die Regierung an die eigene Nase fassen», wird ein Politikwissenschaftler zitiert.
«Denken und sprechen wie Bürger im Land»
Die deutsche Bundesaussenministerin Annalena Baerbock (42) rief die Ampel-Parteien dazu auf, die AfD durch internen Koalitionsstreit nicht weiter zu stärken. «In Zeiten der Verunsicherung wie jetzt durch den russischen Angriffskrieg haben es populistische Parteien immer einfacher», sagte die Grünen-Politikerin, deren Partei im neuen ARD-«Deutschlandtrend» bei 13 Prozent landet – ihrem schlechtesten Wert seit mehr als fünf Jahren.
Am Puls der bundesweiten Befindlichkeit sieht sich da Gitta Connemann (59), CDU-Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion: «Wer Vertrauen zurückgewinnen will, muss wieder denken und sprechen wie die Bürger in diesem Land: offen, verständlich, geradeaus.»
«Fürchterliche Ansichten» von Wählern
Andere Stimmen gehen mit der eigenen Bevölkerung härter ins Gericht – so der «Welt»-Journalist und -Kommentator Alan Posener (73). Im Gespräch mit Welt TV kann er es nicht fassen, «dass die Leute so fürchterliche Ansichten haben und eine solche entsetzliche Partei wählen».
Konkret: «Weil die Leute jetzt offensichtlich der Ansicht sind, dass diese Partei richtig ist. Weil die Leute jetzt offensichtlich Ausländer raus haben wollen, ein reines, weisses Deutschland, Lager für Asylanten, Bündnis mit Putin», so Posener.
Was, wenn AfD regieren würde?
Die «Bild» stellt die rhetorische Frage: Was, wenn die Pläne von Parteichefin Alice Weidel (44) und Co-Parteichef Tino Chrupalla (48) umgesetzt werden? «Haben die Rechtsaussen wirklich bessere Rezepte?»
Preise würden weiter steigen, denn die AfD wolle raus aus der EU, lautet ein erstes Argument gegen die Partei. «Vorbei die Zeit der problemlosen Einreisen», was auch getrübte Ferien bedeute: «Statt an den Grenzen durchgewunken zu werden, müssten sich Bundesbürger auf Ausweiskontrollen und mehr Wartezeit einstellen.» Hinzu kämen mögliche Lieferengpässe und -verzögerungen infolge Grenzkontrollen.
Auch bezüglich Jobs, Familie und Rente wird vor Leistungs- und Vorteilseinbussen gewarnt. Und: «Die AfD will die Beziehungen zu Russland verbessern, ein Ende aller Sanktionen.» Die AfD wolle eine Aussenpolitik, die Nato nur als Verteidigungsbündnis unterstütze. Einsätze ausserhalb des Bündnisbereichs sollen nur unter Uno-Mandat möglich sein.
«Diffuse Ängste» in Bevölkerung
Auch die britische Tageszeitung «The Times», eines der beliebtesten Blätter des Landes, kommentierte am Samstag mit Sorge das Erstarken der AfD in Deutschland – und spricht von «diffusen Ängsten» in der deutschen Bevölkerung. Der «Marsch der Rechten» erfasse zudem andere europäische Länder.
«Die Anziehungskraft der extremen Rechten», so die Zeitung, «beruht auf Ängsten vor unkontrollierter Einwanderung, dem Verlust der nationalen Identität, auf der Herausforderung durch die Globalisierung und der Verwirrung über die Woke-Politik und Kulturkämpfe sowie die Kosten der ‹fortschrittlichen› Politik, insbesondere im Umweltbereich.»