Ukraines zweite Front ist die Korruption
Selenskis gefährlicher Durchbruch an der Schattenfront

Überteuerte Winterjacken und Eier haben den ukrainischen Verteidigungsminister zu Fall gebracht. Selenski schmeisst seinen wichtigsten Mann mitten im Krieg raus. Denn ohne hartes Durchgreifen gegen den inneren Feind geht der Krieg bald verloren. Eine Analyse.
Publiziert: 04.09.2023 um 13:06 Uhr
|
Aktualisiert: 04.09.2023 um 20:57 Uhr
1/8
Der ukrainische Verteidigungsminiser Oleksii Resnikow (57) stolpert über einen Korruptionsskandal rund um überteuerte neue Winterjacken für die Armee.
Foto: Global Images Ukraine via Getty Images
RMS_Portrait_AUTOR_823.JPG
Samuel SchumacherAusland-Reporter

Wolodimir Selenski (45) ist nicht zu beneiden. Der ukrainische Präsident führt seit nunmehr anderthalb Jahren einen Zwei-Fronten-Krieg: Draussen an den Kampfgräben stehen die meuchelnden Russen. Und drinnen in den Amtsstuben hocken die korrupten Beamten.

An dieser Schattenfront hat Selenski jetzt einen Durchbruch geschafft: Er entlässt seinen in korrupte Geschäfte verwickelten Verteidigungsminister Oleksii Resnikow (57), einen seiner engsten Vertrauten. Das ist ein Paukenschlag.

Grund für die Entlassung ist ein neuer Skandal in der Einkaufsabteilung der ukrainischen Streitkräfte. Die soll in der Türkei für 29 US-Dollar pro Stück neue Winterjacken gekauft und ihren Stückpreis bei der Einfuhr mit 86 US-Dollar angegeben haben. Die 57 Dollar Differenz verschwanden in den Taschen korrupter Beamter. Kommt hinzu: Der Gründer der Firma, die sie in die Ukraine importiert hat, ist der Neffe eines ukrainischen Parlamentariers.

Einst stolperte der Minister fast über überteuerte Eier

Das war ein Korruptionsskandal zu viel in Verteidigungsminister Resnikows Team. Ende vergangenes Jahr etwa geriet er bereits in die Kritik, weil er viel zu teure Eier für die Armeeküche gekauft hatte (für 50 Rappen pro Stück statt für die in der Ukraine handelsüblichen 20 Rappen).

Auch wenn Resnikow anfänglich alles abstritt: Selenski bleibt hart und schmeisst ihn raus. Eine andere Wahl hat der mächtigste Mann in Kiew gar nicht. Er weiss, dass der erträumte EU- und Nato-Beitritt nur erfolgen kann, wenn die Ukraine die Korruption endgültig ausmerzt.

Und Selenski weiss, dass die westlichen Demokratien zusehends die Nase rümpfen über die Skandal-Geschichten aus dem Beamten-Mief in Kiew. Zudem täte er seinen Soldaten einen Bärendienst, wenn er korrupte Minister dulden würde, während sie auf den Schlachtfeldern ihr Leben riskieren.

«Rustem Umerov soll das Ministerium übernehmen»
0:45
Resnikow soll abgesetzt werden:«Rustem Umerov soll das Ministerium übernehmen»

Ukraine und Russland: kein Vergleich!

Auch wenn die Korruption in der Ukraine noch immer hoch ist, wie der Fall des Winterjacken- und Eier-Ministers Resnikow zeigt: Das Land bemüht sich ernsthaft, sie einzudämmen. Bezüglich Korruptionsbekämpfung ist die Ukraine geradezu ein Musterknabe: Laut der Organisation «Transparency International» hat sich das Land auf der Korruptionsrangliste in den vergangenen zehn Jahren von Rang 144 (von 180) auf Rang 116 vorgearbeitet (die Schweiz liegt auf Rang 7). 

Ein gutes Beispiel ist Selenski selbst, der mitten im Krieg seinen wichtigsten Minister rausschmeisst und das Parlament über dessen Nachfolger abstimmen lässt. Zudem kann man sich auf mehreren Online-Plattformen transparent alle Ein- und Verkäufe des Staates im Detail nachverfolgen (ausser jene, die aus militärischen Gründen geheim bleiben). Seit 2019 hat die Ukraine ein eigenes Anti-Korruptionsgericht. Der Fall Resnikow, der von einem Reporter ins Rollen gebracht worden ist, zeigt zudem, dass die Medien über Bestechung berichten können, ohne Konsequenzen zu fürchten. 

Selenski überspannt den Bogen

Selenski schiesst in seinem Kampf an der Anti-Korruptions-Front zuweilen sogar über das Ziel hinaus. Jüngst kündigte er an, Korruption künftig mit Hochverrat gleichsetzen zu wollen. Damit würde Selenski die Behandlung von Korruptionsfällen der eigens geschaffenen Anti-Korruptionsbehörde entreissen und ins Gärtchen des Geheimdienstes SBU bugsieren. Die Krux dabei: Der SBU untersteht dem direkten Kommando des Präsidenten, also Selenski.

Bei den Demokratie-Aktivisten in der Ukraine läuten da natürlich die Alarmglocken. Wenn der Richter selber Henker, beziehungsweise der Präsident selber Chef-Korruptions-Ermittler wird, dann kommt es selten gut.

Gewonnen ist der Krieg gegen den Feind in den eigenen Reihen noch lange nicht. Einen ersten Durchbruch aber hat die Ukraine an der Anti-Korruptions-Front geschafft. Die Entwicklung geht in die richtige Richtung – genau wie auf dem Schlachtfeld. 

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?