Den Kurden in Nordsyrien grauts vor dem heutigen Abend. Genau um 21 Uhr Schweizer Zeit endet die fünftägige Waffenruhe, die ihnen eine kleine Verschnaufpause ermöglicht hatte. Sie müssen damit rechnen, dass die Türken nun noch stärker zuschlagen werden.
Schon heute Vormittag hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (65) damit gedroht, die Offensive fortzusetzen. «Wenn die Versprechen der Amerikaner nicht eingehalten werden, wird die Operation mit noch grösserer Entschlossenheit wiederaufgenommen.»
Die USA hatten versprochen, die Sanktionen gegen die Türkei bei einer dauerhaften Waffenruhe aufzuheben. Erst vor wenigen Tagen hatten die USA zwei türkische Ministerien und drei Minister mit Sanktionen belegt und Strafzölle auf Stahlimporte aus der Türkei erhoben.
Erdogans Sicherheitszone wächst
Erdogan äusserte seine Drohungen am Dienstag vor seinem Abflug nach Sotschi, wo er am Nachmittag den russischen Präsidenten Wladimir Putin (67) trifft. Erdogan sprach ursprünglich davon, im Norden Syriens zuerst eine «Sicherheitszone» von 120 Kilometern Länge zu errichten, die anschliessend auf 444 Kilometer Länge und 30 Kilometer Breite ausgedehnt werden soll.
Das entspricht rund einem Drittel der Fläche der Schweiz, die Erdogan im Nachbarland unter seine Kontrolle bringen will.
Amerikaner weg
In der kurzen Feuerpause hat es zwei wichtige Verschiebungen gegeben. Grosse Teile der US-Truppen haben sich Richtung Irak aus dem Staub gemacht. US-Präsident Donald Trump (73): «Wir haben den Kurden geholfen. Und wir haben nie versprochen, dass wir die nächsten 400 Jahre bleiben und sie beschützen werden.»
Auch die von Erdogan gejagte Kurdenmiliz YPG hatte, wie von den Türken gefordert, begonnen, sich aus den umkämpften Gebieten in Nordsyrien Richtung Süden zurückzuziehen.
Inzwischen hat sich auch Deutschland zu Wort gemeldet. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (57) fordert, eine internationale Sicherheitszone einzurichten. Dazu sucht sie nun Verbündete. Ziel müsse es sein, den Kampf gegen den IS fortzusetzen und mit dem Wiederaufbau zerstörter Regionen die Voraussetzung für eine freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen zu schaffen.
Grosse Angst in Bern
Für den in Bern wohnhaften syrischen Kurden Hamid Khalef (42), der bei der Invasion der Türken seine Schwester Hafrin (†38) verloren hat, hat die Waffenruhe praktisch nichts gebracht. Gegenüber BLICK sagt er: «Trotz Waffenstillstand kam es zu Angriffen, die Tote forderten.» Rund 350’000 Kurden hätten inzwischen die Region verlassen, um sich im Süden in Sicherheit zu bringen. «Sie haben kein Haus, kaum zu Essen. Es geht ihnen sehr schlecht», klagt Khalef.
Am meisten würde nun eine internationale Sicherheitstruppe und die Errichtung einer Flugverbotszone nützen, meint Khalef. Er fürchtet sich vor dem Ende der Waffenruhe und den Drohungen von Erdogan. «Die Türken brauchen rund 15 Stunden, um ihre Angriffe wieder hochzufahren. Am Mittwoch könnte schon wieder Krieg herrschen.»
Seit 2011 tobt der syrische Bürgerkrieg zwischen dem Assad-Regime und verschiedenen Rebellen-Gruppen. Dort engagieren sich auch ausländische Mächte, allen voran Russland und die USA oder die Türkei.
Seit 2011 tobt der syrische Bürgerkrieg zwischen dem Assad-Regime und verschiedenen Rebellen-Gruppen. Dort engagieren sich auch ausländische Mächte, allen voran Russland und die USA oder die Türkei.