Es war kurz vor Mitternacht, als am vergangenen Montag mit Generalmajor Christopher Donahue der letzte Angehörige des US-Militärs ins Flugzeug stieg und kurz darauf in einer von drei Boeing C-17 in den dunklen Himmel über Kabul abhob.
Zurück liessen die Streitkräfte nicht nur Tausende von verzweifelten Menschen, für die es keinen Ausweg mehr gab aus einem Afghanistan unter Kontrolle der Islamisten. Die Army und die US-Luftwaffe mussten auch ein wahres Arsenal an Waffen und Ausrüstung aufgeben. Und die Taliban sind nicht der einzige Erzfeind der USA, der Interesse an diesem Material hat.
Längst nicht alles wurde «entmilitarisiert»
Schon am Tag nach dem Rückzug der USA kursierten erste Bilder von Taliban-Kämpfern, die in Cockpits von Helikoptern posierten, Militär-Flugzeuge untersuchten und sogar ganze Paraden mit ergattertem Equipment abhielten. Die neuen Herrscher in Afghanistan zelebrierten ihren Triumph und verhöhnten gleichzeitig den Westen.
Das Pentagon verschwendete denn auch keine Zeit zu versichern, dass das Material in den Händen des Feindes gänzlich unbrauchbar sei. Man habe die Geräte vor der Abreise allesamt «entmilitarisiert», wie es in der Fachsprache heisst.
Doch in dem 20-jährigen Einsatz in Afghanistan haben die USA weitaus mehr Ausrüstung ins Land transportiert als bloss ein paar Jeeps, Helis und Flieger. Die Rede ist von gegen 83 Milliarden Dollar, die Washington investiert haben soll – mit dem Ziel, die lokalen Streitkräfte im Kampf gegen die Taliban irgendwann sich selbst überlassen zu können. Unmengen an Material wurde der afghanischen Armee aus diesem Grund zur Verfügung gestellt.
Sturmlauf verschaffte Taliban ein Arsenal
Zu den Prunkstücken, über welche die afghanische Armee dank den USA mal verfügt hatte, gehören die Humvees. Über 200'000 Dollar kostet ein Exemplar dieser gepanzerten Geländefahrzeuge. Gemäss einem Bericht des US-Rechnungshofs gingen über 22'000 Humvees an die afghanischen Streitkräfte. Hinzu kamen minensichere Fahrzeuge, Truppentransporter und unzählige Militär-Lastwagen.
Dieses Material und dazu noch viele Waffen wie zum Beispiel Maschinen- und Scharfschützengewehre wurden grösstenteils nicht zerstört, sondern fielen den Taliban bei ihrem Eroberungs-Sturmlauf von der Provinz bis in die Hauptstadt nahezu widerstandslos in die Hände. Es sind aber nicht nur die Islamisten in Afghanistan, die von dem ergatterten Equipment profitieren. Auch im benachbarten Iran erhielt man offenbar bereits Zugriff auf das US-Kriegsmaterial.
Militär-Spitzentechnologie – auch für den Iran?
Wie das Portal «Amwaj Media» berichtet, war es bereits während des Taliban-Vormarschs im August zu einem Exodus der afghanischen Streitkräfte in Richtung Iran gekommen. Die Soldaten seien mit massenhaft Fahrzeugen an die Grenze gefahren, um den näher rückenden feindlichen Truppen zu entkommen. Aufnahmen, die nun kursieren, zeigen denn auch Lastwagen der iranischen Armee, die diverse Fahrzeugen aufgeladen haben, die einst vom US-Militär an die Afghanen übergeben worden waren.
Zwar beteuert die iranische Armee, der Grossteil des Materials sei umgehend nach Afghanistan retour geschafft worden. Der Verdacht liegt aber nahe, dass zumindest gewisse Fahrzeuge und Ausrüstungen vom Erzfeind genauer untersucht wurden.
Dass der Iran grosses Interesse an der Militärtechnologie der USA haben, zeigte sich bereits vor zehn Jahren. Am 5. Dezember 2011 war es dem Iran gelungen, eine in den iranischen Luftraum eingedrungene Tarnkappen-Drohne der US-Armee vom Himmel zu holen und anschliessend zu untersuchen. Zumindest nach eigenen Angaben ist es der iranischen Revolutionsgarde gelungen, die Hightech-Drohne «RQ-170 Sentinel» dank der Eroberung nun auch selber nachzubauen. (cat)