Verwirrt, versteinert, verschlafen – steht es wirklich so schlecht um den US-Präsidenten?
Das steckt hinter den bizarren Biden-Videos

Wie soll man auf den mächtigsten Mann der Welt zählen, wenn er einschläft oder wirr herumläuft? Derzeit kursierende Videos über Joe Biden (81) wirken erschreckend. Doch hinter den Videos steckt mehr.
Publiziert: 17.06.2024 um 18:26 Uhr
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Aktualisiert: 17.06.2024 um 20:06 Uhr
Beim G7-Gipfel in Italien scheint US-Präsident Joe Biden verwirrt von der Gruppe Staatschefs wegzulaufen.
Foto: Screenshot
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Guido FelderAusland-Redaktor

Er bleibt stehen, scheint «eingefroren» zu sein oder verwirrt. Die Videos, die vergangene Woche weltweit für Aufsehen gesorgt haben, vermitteln den Eindruck, dass der greise US-Präsident Joe Biden ein massives Problem hat. Ob beim G7-Treffen in Italien, beim D-Day am 6. Juni in Frankreich oder dieses Wochenende bei einer Spendengala in Los Angeles – von jedem öffentlichen Auftritt kursieren im Anschluss Videos, die eines belegen sollen: Der amtierende US-Präsident ist senil – wer ihn wählt, ist selber schuld. Doch all diese Videos haben eines gemeinsam – Bidens Gegner hatten die Hände im Spiel.

Es muss nicht immer künstliche Intelligenz sein. Oft genügen auch ganz simple Methoden, um zu manipulieren und um jemanden in ein schlechtes Licht zu rücken. Ob am G7-Gipfel in Italien, am D-Day in Frankreich oder an Wahlkampfveranstaltungen in den USA, überall wollen Gegner US-Präsident Joe Biden (81) schaden, indem sie Videos so schneiden, damit Biden verwirrt oder senil erscheint.

Die Videos werden dann nicht nur von anonymen Internet-Trolls verbreitet, sondern auch von Mitgliedern der Republikanischen Partei.

Mia Ehrenberg, eine Sprecherin von Bidens Wahlkampagne, sagte: «Die Republikaner haben auf erbärmliche Weise manipulierte und verzerrte Aufnahmen von Präsident Biden verwendet, weil sie seine Leistungen für das amerikanische Volk nicht erfolgreich angreifen können.»

«Erfolg wegen seines Alters»

Besonders nach der Verurteilung im Schweigegeldprozess scheinen den Republikanern die Argumente für eine Wahl ihres Kandidaten Donald Trump auszugehen, der ja selber auch schon 78 Jahre alt ist. Sie verbreiten Videos, die manupulativ geschnitten sind und die Zusammenhänge verschweigen. Sie sind ein Versuch von Bidens Gegnern, den amtierenden Präsidenten seniler erscheinen zu machen, als er wirklich ist.

Gewiss, Biden ist mit 81 Jahren der älteste Präsident, den die USA je hatten. Wenn er gewählt und eine weitere Amtszeit durchziehen würde, wäre er an deren Ende 86 Jahre alt. Ja, und er ist teilweise verwirrt und verliert bei seinen Reden den Faden. Doch er ist nicht derart senil, wie es auf den manipulativ geschnittenen Videos den Anschein macht.

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Seine Ärzte bescheinigen ihm im jüngsten Bericht, dass er an «Verschleiss» und «steifem Gang» leide, aber sonst ohne Einschränkung in der Lage sei, sein Amt auszuüben. Sonderermittler Robert Hur (51), der Bidens Umgang mit Geheimdokumenten untersuchte, beschrieb Biden als «wohlwollenden älteren Mann mit schlechtem Gedächtnis».

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Am G7-Gipfel in Italien bewunderten die Staats- und Regierungschefs das Können der Fallschirmspringer.
Foto: Corbis via Getty Images

Bidens Team streicht sogar sein Alter und die damit verbundenen Erfahrungen hervor. First Lady Jill Biden (73) sagte: «Joe ist nicht trotz seines Alters einer der effektivsten Präsidenten unseres Landes, sondern gerade deswegen.»

Biden holt auf

Wie reagieren die Amerikaner darauf? Biden liegt in den nationalen Umfragen Trump seit Wochen mit einem Prozentpunkt Abstand im Nacken und konnte in den wichtigen Swing States sogar etwas Boden gut machen. Wahlforscher haben herausgefunden, dass es den Wählerinnen und Wählern in erster Linie nicht auf das Alter, sondern auf die Leistung ankommt.

Wie es wirklich um den US-Präsidenten steht, werden wir spätestens am 27. Juni erfahren. Dann wird er sich mit Donald Trump live am TV duellieren. Möglichkeiten zum manipulativen Schneiden gibts während den 90 Minuten nicht – aber auch keine Möglichkeit, mögliche Altersgebrechen zu verbergen.

Diese manipulativen Videos machten die Runde

Der unsichtbare Stuhl

Das Nationale Komitee der Republikaner hat vom 80. Gedenktag der Alliierten am 6. Juni in Frankreich einen kurzen Clip veröffentlicht, auf dem Biden neben dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron (46) einige Sekunden in der Hocke verharrt. Kommentatoren spotten über den «unsichtbaren Stuhl», auf den Biden sich setzen wolle. Im vollständigen Video ist zu sehen, wie Biden anschliessend Platz nimmt. Er hatte – wie auch andere Personen auf der Bühne – beim sich Setzen innegehalten, offenbar um den Aufruf von Verteidigungsminister Lloyd Austin (70) abzuwarten.

Von der Bühne weggezogen

In einem kurzen Video sieht man, wie First Lady Jill Biden an der D-Day-Gedenkfeier mit ihrem Mann die Bühne verlässt. Republikaner schreiben, Biden werde hinausbegleitet, sogar «weggezogen», während Macron Veteranen begrüsse. Das volle Video zeigt, dass Biden schon vorher Veteranen die Hand gereicht hatte.

Im Sekundenschlaf

Ebenfalls an der D-Day-Zeremonie scheint Biden einzuschlafen. Es war während der Live-Übertragung der Feier, bei der er im linken Ohr einen Übersetzungsstecker trug. Das volle Video zeigt, wie er unmittelbar nach Ende der bearbeiteten Sequenz die Augen öffnet.

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Auf der Bühne erstarrt

Bei einer Spendengala am Wochenende in Los Angeles schaut Biden einige Sekunden ins Publikum, bevor ihn sein Vorgänger Barack Obama (62) an der Hand nimmt und von der Bühne begleitet. «Biden erstarrt schon wieder, das ist Seniorenmissbrauch», spottet das Netz auf X. Was man nicht sieht: Zuvor hatte Biden munter mit dem Publikum gescherzt und gelacht, bevor er sich auf eine Person im Publikum zu konzentrieren schien und in seiner Stellung verharrte.

Blick ins Leere

In einem Videoausschnitt vom G7-Gipfel in Italien scheint Biden bei einer Fallschirmspringer-Vorführung herumzuirren, bevor ihn Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (47) am Arm packt und zurückholt. Was auf diesem Ausschnitt nicht zu sehen ist: Biden steuert auf einen eben gelandeten Fallschirmspringer zu, um ihm mit dem Daumen hoch zu gratulieren. Der britische Premier Rishi Sunak (44) sagte anschliessend, dass Biden «sehr höflich gewesen und zu jedem einzeln gegangen sei, um mit ihm zu sprechen».

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