«Als am 24. Februar die ersten Raketen in Kiew einschlugen, flüchtete ich in einen Bunker. Dort blieb ich eine ganze Woche lang. Bei null Grad, in Skiunterwäsche, alle husteten. Im SonntagsBlick vom 27. Februar und 6. März standen meine Berichte über diese Zeit.
Am 2. März packte ich einen kleinen Rucksack und flüchtete in den Westen, nach Lwiw. Im Juni dann, als sich die Russen vollständig aus der Region Kiew zurückgezogen hatten, kehrte ich nach Hause zurück. Nie werde ich die Tränen in den Augen meiner Eltern vergessen, als sie mich am Bahnhof abholten. Wir waren so glücklich, dass wir am Leben geblieben waren!
Ich hatte erwartet, dass ich zurück in Kiew sofort glücklich und voller Energie sein würde. Die Realität war ernüchternd. Meine Wohnung, für mich stets eine Quelle der Kraft und der Ruhe, verband ich jetzt mit Angst und dem Schock der ersten Bomben. Dennoch: Kiew ist heute viel lebendiger als damals. Aber sicher fühle ich mich nicht mehr, die Sirenen sind beklemmend.
Aber ich bin Optimistin – und froh, überhaupt eine Wohnung zu haben, ein wenig Erspartes. Ich kaufte mir einen Elektroroller, um trotz Benzinknappheit durch die Stadt zu fahren. Ich meldete mich für einen Schauspielkurs an, um meinen Geist zu beschäftigen. Und ich treibe Sport.
Krieg ist hässlich und grausam. Doch immer mehr Menschen entscheiden sich für das Leben – hier und jetzt, wann immer es möglich ist, zwischen Sirenen und Schreckensmeldungen. Die Stadt ist aktiv, energiegeladen und geschäftig. Die Leute trinken Kaffee in den Strassen, gehen ins Theater, besuchen die Oper. Es gibt keine Ausrede mehr, ein Treffen mit Freunden aufzuschieben.
Jede neue Bekanntschaft beginnt damit, dass wir einander erzählen, was wir am 24. Februar getan haben. In wenigen Tagen, am 24. August, feiern wir den Unabhängigkeitstag der Ukraine – genau sechs Monate nach Putins Angriff. Für diesen Tag erwarten wir neue Raketenangriffe auf unsere Stadt. Der Winter wird hart, aber wir bleiben stark und unterstützen uns gegenseitig – bis zum Sieg ...»