Rückzug ins eigene Land oder Weltpolizist?
Trump droht den Mächtigsten der Welt – will aber den Friedensnobelpreis

Donald Trump droht mit einem Ausstieg aus der Nato und einem Ende der Ukraine-Hilfe. Gleichzeitig bietet er Hamas und China klar die Stirn. Wendet sich Trump gerade dem Isolationismus zu, oder kehrt die USA mit ihm als globaler Ordnungshüter zurück?
Publiziert: 15.12.2024 um 17:36 Uhr
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Aktualisiert: 15.12.2024 um 22:45 Uhr

Auf einen Blick

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Daniel JungRedaktor News

Von Donald Trump (78) kommen derzeit eher widersprüchliche Signale zur Aussenpolitik. Im Wahlkampf sprach er von einer Reduktion des weltweiten US-Engagements. Gleichzeitig droht er gegenüber Putin sowie der Hamas mit militärischer Eskalation, und die Abschreckung gegenüber China will er verstärken. Wie geht das zusammen? Wird die USA ihr Engagement als Ordnungsmacht unter Trump zurückfahren, oder werden sie die Rolle als «Weltpolizist» wieder stärker wahrnehmen?

Manchmal klingt Trump ganz klar wie ein strenger Feldherr: Wenn die Hamas ihre Geiseln nicht vor seinem Amtsantritt am 20. Januar freilasse, werde für jene, die im Nahen Osten für die Gräueltaten verantwortlich seien, die «Hölle los sein». Das schrieb Trump am 2. Dezember auf Truth Social.

«Diejenigen, die dafür verantwortlich sind, werden härter getroffen werden, als irgendjemand in der langen und geschichtsträchtigen Geschichte der USA jemals getroffen wurde.» In Grossbuchstaben fügte Trump hinzu: «Lasst die Geiseln jetzt frei.»

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Wird die USA unter Trump die Rolle als «Weltpolizist» wieder stärker wahrnehmen?
Foto: AFP

«Er weiss, dass ich verrückt bin»

Gemäss «Washington Post» warnte Trump in einem Telefonat kurz nach seiner Wiederwahl Wladimir Putin (72) davor, in der Ukraine eine militärische Eskalation zu riskieren – und erinnerte an die beachtliche US-Militärpräsenz in Europa.

Und als Trump vom «Wall Street Journal» gefragt wurde, ob er militärische Gewalt einsetzen würde, wenn der chinesische Präsident Xi Jinping Taiwan mit einer Blockade bedrohen würde, sagte er: «Das müsste ich nicht, denn er respektiert mich und er weiss, dass ich total verrückt bin.»

Trump scheut also nicht davor zurück, den mächtigsten Männern dieser Welt zu drohen.

«Dies ist nicht unser Kampf»

Andererseits hat der nächste US-Präsident im Wahlkampf angetönt, dass er das Engagement des amerikanischen Militärs weltweit reduzieren und die Militärhilfen für die Ukraine kürzen möchte.

Nach dem Sturz von Diktator Bashar al-Assad (59) kommentierte Trump: «Syrien ein Schlamassel, aber es ist nicht unser Freund, und die Vereinigten Staaten sollten damit nichts zu tun haben.» In Grossbuchstaben ergänzte er: «Dies ist nicht unser Kampf. Lasst es sich ausspielen.»

Und in einem TV-Interview mit NBC erwog Trump am letzten Sonntag erneut einen Austritt aus dem westlichen Militärbündnis Nato. Die Signale, die Trump zur kommenden US-Aussenpolitik aussendet, sind schwer zu deuten. Was heisst das nun für die nächsten vier Jahre?

«Trump mag keine Kriege»

«Trump hat keine ausformulierte und kohärente aussenpolitische Philosophie», sagt USA-Experte James Warren Davis (61), Professor für Politikwissenschaft an der Uni St. Gallen. Was aber klar sei: «Donald Trump mag keine Kriege, und er mag keine hoffnungslosen Auslandseinsätze der US-Streitkräfte.»

Trump sei skeptisch gegenüber grossen Einsätzen wie im Irak, wo die Amerikaner nach dem Sturz von Saddam Hussein mehrere Jahre lang versuchten, einen funktionierenden Staat aufzubauen («Nation building»).

Trump sehe sich selbst als «Deal-Maker», sehe aussenpolitische Probleme wie Geschäftsbeziehungen, sagt Davis. Man setze sich an einen Tisch und mache einen Deal – «ein bisschen Geben und Nehmen».

Grundsätzlich sei nichts verkehrt an einer interessenbasierten Aussenpolitik, sagt der Politikwissenschaftler. «Aber ob Trump wirklich versteht, wie die Leute ihre Interessen definieren und wie komplex manche Probleme sind, wage ich zu bezweifeln.»

«Er will offensichtlich einen Friedensnobelpreis»

In keinem Fall aber wolle Trump in die Geschichte eingehen als jener Präsident, der die Ukraine verloren hat. «Er will offensichtlich einen Friedensnobelpreis», sagt Davis. Und weil Trump Erfolg wolle, werde er pragmatisch handeln.

Davis verweist auf das Personal, das Trump ausgewählt hat: Weder der nominierte Aussenminister Marco Rubio (53) noch der Nationale Sicherheitsberater Mike Waltz (50) seien Isolationisten. «Beide sind China-Falken», sagt Davis – sie wollen der asiatischen Supermacht vehement die Stirn bieten.

Dass Trump die historischen Zusammenhänge nicht bis ins Detail kenne, müsse nicht nur ein Nachteil sein, meint Davis. «Manchmal ist es der naive Anfänger, der etwas auf den Tisch legt, was zum Durchbruch führt, weil niemand ein Problem vorher so gesehen hat.»

«Man braucht ein starkes Europa»

Als Beispiel dafür verweist der St. Galler Professor auf die Abraham Accords aus Trumps erster Amtszeit. Hier sei es dem Präsidenten gelungen, eine Annäherung zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain festzuschreiben. «Die Verträge bilden nun ein Grundstein für weitere Entwicklungen», so Davis.

Der Politologe erwartet keinen Austritt aus der Nato. «Trumps Berater sehen, dass man ein starkes Europa braucht.» Letztlich sei es Trumps Ziel, dass die Europäer mehr zur militärischen Sicherheit beitragen.

Fazit: Trump dürfte den Kopf kaum in den Sand stecken – trotz Skepsis gegenüber grossen Ausland-Ambitionen. Er möchte Interessen am Verhandlungstisch ausgleichen. Ob er damit Erfolg haben wird, ist noch unklar. Davis sagt: «Ich bin skeptisch, aber ich offen für eine Überraschung.»

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