Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: die Demokratin Kamala Harris (59) und der Republikaner Donald Trump (78). Sie stehen für die zwei extremen Enden des politischen Spektrums. In keinem Thema werden sie sich einig. Keiner möchte mit dem anderen assoziiert werden. Doch in einer Sache sind sich die beiden ähnlicher, als ihnen lieb ist: Harris und Trump fluchen sehr gerne. Was befremdlich wirken mag, ist ein ausgefuchster Marketingtrick.
Fluchen ist traditionsreich
Das präsidiale Fluchen hat in den USA eine lange Tradition. Schon der siebte US-Präsident, Andrew Jackson (1767–1845), fluchte so oft, dass sein Hauspapagei begann, ihn zu imitieren – und deshalb nicht an Jackson Beerdigung teilnehmen durfte. Tonaufnahmen aus dem Weissen Haus dokumentieren die Vorliebe der beiden Präsidenten Lyndon B. Johnson (1908–1973) und Richard Nixon (1913–1994) für Schimpfwörter. Dies nur als wenige Beispiele aus einer langen Liste von fluchenden US-Präsidenten. Was sie alle gemeinsam haben: Geflucht wurde in der Vergangenheit nur hinter verschlossener Türe.
Spätestens aber seit Donald Trump die politische Bühne betrat, gehören Kraftausdrücke zum guten Ton in der amerikanischen Politik. Das zeigen Untersuchungen des US-Analyseunternehmens Govpredict aus dem Jahr 2019: Von 2013 bis 2016 fluchten US-Präsidenten und Präsidentschaftskandidaten insgesamt 408 Mal auf X (damals noch Twitter). In den darauffolgenden drei Jahren stieg die Zahl der nicht jugendfreien Tweets beinahe um das 15-fache auf 6047!
Fluchen ist wichtig
Schon seit 2016 schimpft Trump während seiner Veranstaltungen wie ein Rohrspatz: Seine politischen Gegner bezeichnet er als «Pussies», afrikanische Staaten als «Shithole-Countries». Im Sommer 2024 beleidigte er seine politische Kontrahentin Kamala Harris als «fucking bad».
Und apropos Harris: Auch die Demokratin flucht wie ein Seemann. «Damn» und «Fuck» gehören zu ihrem Vokabular. Im Frühjahr gab sie jungen Amerikanern aus Asien Ratschläge, wie sie in einer Gesellschaft, die es Minderheiten nicht leicht macht, erfolgreich zu sein, sagte sie: «Wir müssen wissen, dass die Leute einem manchmal die Tür öffnen und offen lassen. Manchmal aber auch nicht. Und dann musst du diese verfickte Tür eintreten.»
Auch wenn es uns allen anders beigebracht wurde: Fluchen ist menschlich. In jeder Sprache und in jedem Dialekt finden sich Schimpfwörter. Sie sind ein Ausdruck von Emotionen und helfen dabei, wichtige Details zu betonen. Diverse Wissenschaftler haben schon zu Sinn und Unsinn der Flucherei geforscht.
Trotzdem: Politiker, die fluchen – das mag befremdlich wirken. Das sehen auch Menschen so, die diesen Politikern nahestehen: Auf einer kürzlich abgehaltenen Wahlkampfveranstaltung erzähle Trump, dass seine Frau Melania Trump (54) ihn darum bat, weniger Schimpfwörter zu verwenden. Trump lehnte ab. Und damit soll er recht behalten.
Fluchen ist strategisch
Sogar Experten raten den beiden Präsidentschaftskandidaten davon ab, ihren Mund mit Seife auszuwaschen. Politiker, die öffentlich fluchen, bieten ein «ehrlicheres Spiegelbild ihrer selbst», erklärt der Fluchwort-Experte Timothy Jay gegenüber der «Washington Post». Fluchwörter lassen Politiker authentischer und sympathischer wirken. Logisch, die meisten Menschen fluchen – wenn Harris und Trump also Fluchwörter benutzen, sagen sie quasi: «Hey, wir sind total normale Menschen!»
Nicht nur, dass man flucht, sondern auch wie man flucht, spielt in der Politik eine grosse Rolle. Harris und Trump setzen die Profanität auf unterschiedliche Weise ein. Bei Trump ist das Fluchen eher eine Beleidigung oder eine Betonung seiner Wut. Harris' Profanität unterstreicht eher ihre Gefühle. Somit können sie unterschiedliche Interessengruppen ansprechen.
Fluchen birgt Risiken
Aber wer flucht, hat nicht automatisch die Wahl gewonnen. Es ist bekannt, dass die Jüngeren und weniger Religiösen unter den Wählern Fluchwörter eher positiv sehen. Politiker, die um jüngere und weniger religiöse Wähler konkurrieren, könnten hierin einen Vorteil sehen.
Die Ansprache jüngerer Wähler birgt aber auch die Gefahr, dass ältere Wähler verprellt werden. Darüber hinaus hat sich die Einstellung jüngerer Menschen gegenüber Schimpfwörtern im Laufe der Jahre geändert, sodass die Art der von Politikern verwendeten Schimpfwörter möglicherweise keinen grossen Einfluss mehr auf sie hat. Daher kann es sein, dass die Zielgruppe der Wähler von Flüchen, die sie als lau empfinden, wenig beeindruckt ist.