Die internationale Solidarität mit Haiti sei seit der Zeit nach dem verheerenden Erdbeben von 2010 grösstenteils verpufft; dabei sei die Situation schlimmer denn je, sagte die Chefin des Kinderhilfswerks. Von 720 Millionen US-Dollar (663 Mio. Euro), um die die UN in diesem Jahr für humanitäre Hilfe in Haiti baten, sei bisher weniger als ein Viertel eingegangen.
«Die aktuelle Sicherheitslage ist inakzeptabel», sagte Russell. Sie berichtete von brutaler Bandengewalt, darunter systematische Vergewaltigungen. Hinzu kämen Hunger, Armut, Cholera und Klimafolgen.
Selbstjustiz in Port-au-Prince
Haiti leidet unter Kämpfen zwischen Banden, die nach UN-Schätzung 80 Prozent der Hauptstadt Port-au-Prince kontrollieren. Seit der Ermordung des Staatspräsidenten Jovenel Moïse vor knapp zwei Jahren gibt es eine Interimsregierung. Diese bat im Oktober um Hilfe durch eine internationale Truppe – die kam bislang nicht zustande. Zuletzt breitete sich in Port-au-Prince die «Bwa Kale» (geschältes Holz) genannte Selbstjustiz-Bewegung aus. Nach Angaben der haitianischen Organisation CARDH wurden innerhalb von nur einem Monat mindestens 160 mutmassliche Bandenmitglieder gelyncht. Fast die Hälfte der elf Millionen Haitianer leidet laut UN unter akutem Hunger.
In Port-au-Prince nannte der UN-Menschenrechtsexperte William O'Neill den Einsatz einer internationalen Truppe «unerlässlich» und rief dazu auf, ein vom Sicherheitsrat beschlossenes Waffenembargo gegen Haiti umzusetzen. «Die Menschenrechtslage ist dramatisch, alle Rechte werden verletzt», sagte er zum Abschluss eines zehntägigen Besuchs am Mittwoch. «Es ist dringend notwendig, zu handeln. Das Überleben einer ganzen Nation steht auf dem Spiel.»
(SDA)