Auf einen Blick
- Umstrittenes Klaasohm-Fest auf Borkum: Männer jagen und schlagen Frauen
- Frauen berichten von körperlichen und seelischen Schmerzen
- Sieben Männer in gruseligen Kostümen ziehen jährlich am 5. Dezember los
Die Tradition ist eigenwillig und hochumstritten. Jedes Jahr, am Abend des 5. Dezember, findet auf der deutschen Nordseeinsel Borkum das Klaasohm-Fest statt. Männer ziehen in gruseligen Kostümen durch die Strassen, fangen junge Frauen ein und schlagen sie symbolisch mit Kuhhörnern. Dabei wird vor nichts zurückgeschreckt.
Aussenstehende sind beim Brauch nicht willkommen – auch Journalisten bleibt der Zugang zum Fest häufig verwehrt. Einem Team des deutschen Fernsehsenders NDR ist es gelungen, das Fest im Rahmen einer Reportage undercover zu besuchen. Die Dokumentation liefert eindrückliche Aufnahmen und zeigt, warum der über 100-jährige Brauch so umstritten ist.
«Wenn du Klaasohm bist, schlägst du zu»
Veranstaltet wird die Tradition vom Verein Borkumer Jungens. Die Gruppe wurde 1830 gegründet und hat sich bis heute gehalten. Laut den Vereinsstatuten können nur Männer beitreten. Einmal aufgenommen, werden sie in verschiedene Altersgruppen eingeteilt. «Der Verein hat es sich zum Ziel gemacht, Sitten und Gebräuche des Borkumer Plattdeutsch und dessen Gesänge zu erhalten», heisst es auf der Website des Vereins.
Am 5. Dezember ziehen die Männer als Fabelwesen verkleidet friedlich über die Insel und kehren in verschiedene Bars ein, um zu feiern. Dabei treffen sich die sogenannten «Klaasohms» immer wieder an neuen Orten.
Gegen Abend wird der Ton rauer: Dann treffen sich die Klaasohms in der Turnhalle zu Wrestling-Kämpfen. Nach der Veranstaltung ziehen die Männer durch die Strassen und halten Ausschau nach Frauen. Fangen sie eine ein, haut der älteste Klaasohm mit einem Kuhhorn drei bis viermal auf den Hintern seines Opfers. Die jüngeren Männer tun es ihm anschliessend gleich.
«Warum sollen wir das über uns ergehen lassen?»
Die Bewohner Borkums reden nicht gern über Klaasohm. Das hängt auch mit der zunehmenden Kritik an der Tradition zusammen. Geschlagene Frauen äussern sich immer häufiger zu den körperlichen und seelischen Schmerzen, die die Schläge verursacht haben. «Warum sollen wir das über uns ergehen lassen? Und was rechtfertigt diese Gewalt?», fragt eine Borkumerin in der Reportage. Eine weitere Betroffene schildert, wie sie sich während des Rituals gefühlt hat. «Es ist beklemmend und bedrückend. Alle schlagen drei bis viermal auf einen ein.» Die Betroffenen haben zwar auch schöne Erinnerungen an das Fest, bei dem die ganze Insel zusammenkommt. Doch ab einem gewissen Punkt kippe die Stimmung jeweils.
Selbst wenn sich die Frauen wehren und vor Schmerzen krümmen, werde weiter geschlagen. Begleitet von einer Gruppe grölender Menschen.
«Schwierig, wenn Fremde urteilen»
In der Doku kommen auch ehemalige Klaasohms zu Wort. Einer der Männer erinnert sich: «Man hat es nicht hinterfragt. Wenn du Klaasohm bist, schlägst du zu – das gehört dazu.» Das Gefühl zuzuhauen sei wie ein Rausch. «Ich habe einfach mitgemacht.» Und auch in den sozialen Medien schlägt das Thema hohe Wellen. Auf Tiktok kursieren mehrere Videos, in denen sich Nutzerinnen ungläubig zeigen.
Befürworter des Brauchs argumentieren, dass die Teilnahme am Fest freiwillig sei. Wer nicht mitmachen wolle, könne sich entscheiden, zu Hause zu bleiben, schreibt eine Bewohnerin auf Anfrage des Senders. Angesprochen auf die Kritik betont sie, dass es heikel sei, wenn Fremde über den langjährigen Brauch urteilen. Schliesslich störe der Brauch die meisten Frauen auf der Insel nicht.
Auf die Anfrage des NDR antwortete der Bürgermeister Borkums, dass er für ein Interview nicht zur Verfügung stehe. Klaasohm sei ein Fest für Insulanerinnen und Insulaner, das sich Auswärtigen oft nicht erschliesse. Er fügt an, dass durchaus auch kritische Stimmen gehört werden – grundsätzlich stünden die Borkumerinnen und Borkumer dem Fest jedoch positiv gegenüber.
Laut den Behörden seien in den vergangenen fünf Jahren zudem keine Strafanzeigen im Zusammenhang mit Klaasohm eingegangen.