Die Kinderzeichnung zeigt Raketen, die auf eine Frau und ein Kind mit ukrainischer Flagge gerichtet sind. Darauf der Schriftzug: «Ich bin gegen den Krieg». Die 13-jährige Maria Moskaljowa aus dem russischen Jefremow hat das Bild in der Schule gezeichnet – und kam deshalb in ein Kinderheim, ihr Vater vor Gericht. Der Fall erregt über die Kleinstadt hinaus Aufsehen und illustriert die Härte, mit der Moskau gegen jegliche Kritik an der russischen Offensive in der Ukraine vorgeht.
Riesige Plakate entlang der Hauptstrasse von Jefremow werben für den Einsatz gegen das Nachbarland: «Für eine Welt ohne Nazis» steht darauf, oder einfach nur der Buchstabe Z, der für die sogenannte militärische Spezialoperation steht. Doch manche der 37'000 Einwohner scheinen die staatliche Propaganda zu hinterfragen.
«Verunglimpfung der russischen Streitkräfte»
Als die Schulleiterin Marias Bild zu Gesicht bekam, schaltete sie umgehend die Polizei ein. Die Beamten überprüften die Internet-Accounts des Vaters und entdeckten Kommentare, in denen er die Offensive kritisierte. Seit dem 1. März steht Alexej Moskaljow deswegen unter Hausarrest, am Montag forderte die Staatsanwaltschaft im Prozess gegen den 54-Jährigen zwei Jahre Haft wegen «Verunglimpfung der russischen Streitkräfte».
Am Dienstag wurde Papa Moskaljow dann zu zwei Jahren Straflager verurteilt. Er war noch vor der Verkündung des Urteils aus dem Hausarrest geflohen, wie eine Gerichtssprecherin bestätigte. Als die Nachricht von seiner Flucht bekannt wurde, gab es im Gerichtssaal der Stadt Jefremow südlich von Moskau Applaus.
Unabhängige Medien berichteten aus dem Gerichtssaal von einem inszenierten Verfahren mit einstudierten belastenden Aussagen vermeintlicher Zeugen. Es seien keine Beweise vorgelegt worden. Der Kremlkritiker Michail Chodorkowski (59) kommentierte, dass der Machtapparat den Vater nutze, um das vom Gesetz nicht zu belangende Kind doch zu bestrafen.
In einem weiteren Verfahren am 6. April könnte dem alleinerziehenden Vater das Sorgerecht für seine Tochter endgültig entzogen werden, wie sein Anwalt Wladimir Biljenko schildert. Schon jetzt darf Maria nach Angaben der unabhängigen städtischen Abgeordneten Olga Podolskaja nicht einmal mit ihrem alleinerziehenden Vater telefonieren.
«Es ist schrecklich, einen Vater von seiner Tochter zu trennen»
Das Vorgehen der Behörden in Jefremow, einer beschaulichen Stadt 300 Kilometer südlich von Moskau, schockiert Menschen in ganz Russland. Oppositionelle Medien berichten darüber, eine Online-Petition fordert, Maria wieder nach Hause zu lassen. Selbst Jewgeni Prigoschin, Chef der paramilitärischen Wagner-Truppe, kritisiert die Trennung von Vater und Tochter.
In den Strassen von Jefremow sind nur wenige Menschen bereit, offen über den Fall oder die Ukraine zu sprechen. «Es ist schrecklich, einen Vater von seiner Tochter zu trennen. Sie hat doch nur ihre Meinung geäussert», sagt Alexandra, eine Studentin. Eine Rentnerin, die ihren Namen nicht nennen will, erzählt, ihr Leben habe sich seit dem russischen Einmarsch verändert. «Das Einzige, was mich jetzt beschäftigt, sind die militärischen Nachrichten. Ich sehe die Opfer auf beiden Seiten. Ich will, dass es so schnell wie möglich vorbei ist», sagt sie. (AFP/SDA/jmh/nad)