Am Samstag begingen Myanmars Streitkräfte, Tatmadaw genannt, den Tag der Armee. Mit einer grossen Parade in der Hauptstadt Naypyidaw wollten die Generäle ihre Macht zur Schau stellen. Der Juntachef gelobte, dass das Militär auch die Menschen schütze. Doch statt Achtung ernteten die Uniformierten Verachtung.
Der Tag sollte als Myanmars Tag der Schande in die Geschichte eingehen. Über der grössten Stadt Yangon stiegen dicke schwarze Rauchwolken auf. Bei andauernden landesweiten Protesten gegen den Putsch vom 1. Februar starben allein am Samstag in 44 Städten des Landes mindestens 114 Menschen. Es war der bislang tödlichste Tag seit dem Staatsstreich von Militärmachthaber Min Aung Hlaing.
Die Vereinten Nationen bezeichneten Samstag als den «blutigsten Tag» seit dem Militärputsch. Unter den Todesopfern sind Berichten zufolge auch mehrere Kinder und Jugendliche im Alter von fünf bis 15 Jahren. «Die Gewalt ist völlig inakzeptabel und muss sofort aufhören», hiess es von den UN. Der UN-Sondergesandte für Menschenrechte in Myanmar warf dem Militär «Massenmord» an der eigenen Bevölkerung vor.
Staatsfernsehen warnt vor schiessenden Truppen
Myanmars Staatsfernsehen warnte noch am Freitag, dass Regierungsgegner Gefahr laufen, «in den Kopf und in den Rücken» geschossen zu werden. Trotzdem gingen in Yangon, Mandalay und anderen Städten Tausende von Juntagegnern auf die Strasse. «Wir werden weiter protestieren», sagte ein junger Mann zu Journalisten. «Wir müssen kämpfen, bis die Junta stürzt.»
Am Samstag fielen auch beim American Center in der Nähe der US-Botschaft in Yangon Schüsse. Dies, während Befürchtungen in der Region wachsen, dass sich auch der bewaffnete Widerstand von Myanmars kriegsführenden Minoritäten in den Konflikt einmischen könnte. Noch verteidigt sich Myanmars Protestbewegung praktisch mit Händen und Füssen und improvisierten Waffen gegen die Truppen. Schnell gebaut und überall zu sehen sind Steinschleudern.
Droht ein gescheiterter Staat?
Wird Myanmar zum gescheiterten Staat, droht eine noch grössere, internationale Katastrophe, warnte auf Twitter der burmesische Historiker und Autor Thant Myint-U, Enkel von U Thant, dem ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen. Myanmar könnte zu einem Stellvertreterkrieg der Grossmächte werden. «Die Welt ist sich nicht bewusst, dass ein gescheiterter Staat in Myanmar das Potential hat, alle Grossmächte - einschliesslich der USA, China, Indien, Russland und Japan - in einer Weise einzubeziehen, die zu einer ernsten internationalen Krise führen könnte, sowie zu einer noch grösseren Katastrophe in Myanmar selbst.»
Erste Flüchtlinge haben es nach Thailand geschafft, das eine lange Geschichte von Auffanglagern entlang der rund 2400 Kilometer langen Grenze zu Myanmar aufweist. Der Flüchtlingsstrom war lange Jahre verebbt. Jetzt droht er wieder anzuschwellen. Allein am Sonntag flohen 3000 ethnische Karen vor marodierenden Truppen über die Grenze nach Thailand.
Seit der Verhaftung der gewählten De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi (75) sowie führenden Regierungsmitgliedern vor knapp zwei Monaten sind in Myanmar mehr als 450 Menschen ums Leben gekommen - und die Wirtschaft liegt am Boden. Geld abheben, tägliche Besorgungen, der Weg zur Schule oder zur Arbeit – nichts ist mehr so einfach wie vor ein paar Wochen noch, als das Experiment Demokratie im Land zwar schon als gefährdet galt.
Grässliche Bilder in sozialen Medien
Das harte Durchgreifen der Uniformierten seither setzt jedoch neue grässliche Massstäbe. Letzte Woche töteten Soldaten bei Razzien drei Kinder, darunter die siebenjährige Khin Myo Chit. Sie wurde erschossen, als sie sich während einer Hausdurchsuchung in die Armee ihres Vaters retten wollte. Auf sozialen Medien werden Bilder von getöteten und blutverschmierten Jugendlichen geteilt, die bei Protesten gegen das Regime sterben.
Nichts deutet darauf hin, dass die Machthaber Verhandlungsbereitschaft signalisieren. Doch zunehmend wird Myanmars Junta auch international isoliert. Die Asean-Partnerstaaten Indonesien und Malaysia haben ihren Zorn über die Zustände im Land ausgedrückt, und in einer gemeinsamen Erklärung haben in der Nacht auf Sonntag die Militärchefs von einer Reihe westlicher Staaten die Gewalt gegen friedliche Demonstranten in Myanmar verurteilt.
Myanmars Militärjunta halte sich nicht an internationale Standards der militärischen Professionalität: «Ein professionelles Militär hält sich an internationale Verhaltensstandards und ist dafür verantwortlich, die Menschen, denen es dient, zu beschützen, und nicht, ihnen zu schaden.»
Biden nennt Militärgewalt in Myanmar schrecklich und abscheulich
Unterzeichnet wurde die Erklärung von Mark Milley (62), dem Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs der USA, sowie seinen Kollegen aus Australien, Kanada, Deutschland, Griechenland, Italien, Japan, Dänemark, den Niederlanden, Neuseeland, Südkorea und Grossbritannien.
Am Sonntag zeigte sich auch US-Präsident Joe Biden (78) entsetzt über die Vorgänge in Myanmar: «Es ist schrecklich. Es ist absolut abscheulich», sagte er zu Journalisten. Auf die Frage nach möglichen Sanktionen und einer Reaktion der US-Regierung auf die Gewalt in Myanmar sagte Biden demnach nur knapp: «Wir arbeiten gerade daran.»
Bei der Parade am Tag der Streitkräfte am Samstag in Nyapyidaw waren auch acht Nationen als Ehrengäste anwesend. Darunter Thailand, das selber von einer aus einem Militärputsch hervorgegangenen Regierung geführt wird. Soweit schweigt das offizielle Bangkok zu den Vorgängen im Nachbarland. (kes/SDA)