Ukrainischer Kampfpilot (29): Russen haben keine Luftüberlegenheit
«Wir sind alle Geister von Kiew»

Der Geist von Kiew ist tot, lang lebe der Geist von Kiew – mit diesen Worten lässt sich die Moral der ukrainischen Kampfpiloten beschreiben. Sie fliegen als Kollektiv. Ein 29-jähriger Pilot erzählt aus dem Kampfalltag. Seine Maschine verlasse er nie. Luftkämpfe? Selten.
Publiziert: 16.05.2022 um 02:41 Uhr
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Aktualisiert: 16.05.2022 um 11:22 Uhr
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Der Geist der Ukraine im Cockpit.
Foto: Facebook Air Force Command of UA Armed Forces

Der ukrainische Kampfpilot mit dem Spitznamen «Juice» («Saft») kannte die Legende: den «Geist von Kiew». Sie waren Kameraden. Doch kein einzelner Kampfpilot sei der Geist von Kiew. Sie alle seien ihn. Das sagt der 29-Jährige im Skype-Gespräch mit dem US-Politmagazin «Politico». Diese Geister würden die russische Luftflotte vor grosse Probleme stellen.

Der so mysteriöse Geist von Kiew, Stepan Tarabalka (†29), war im März bei einem Luftkampf abgeschossen worden. Um seine Heldentaten rankten sich schon zeitlebens viele Legenden. Er soll zahlreiche Gegner abgeschossen haben. Wie viele, wird wohl für immer Stoff von Legenden bleiben.

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Nie mehr als 200 Meter vom Kampfjet entfernt

Der Geist von Kiew lebt demnach weiter. Die Pilotenkameraden von Tarabalka treten in seine Fussstapfen. Einer von ihnen ist ein Kampfpilot, der seinen Namen bloss mit Juice angibt. Seine wahre Identität will er «aus Sicherheitsgründen» nicht preisgeben. Auch sein Aussehen nicht.

Der junge Mann stammt aus dem vom russischen Angriffskrieg okkupierten Donbass. Er entfernt sich nie mehr als 200 Meter von seinem MiG-29-Kampfjet. Er lebe in «ständiger Einsatzbereitschaft». Wenn ein Befehl übers Funkgerät kommt, bleiben ihm nur wenige Minuten.

Russen erst überschätzt

Der Mann wirke im Gespräch «kalt und ernst», schreiben die ihn interviewenden Journalisten. Der Pilot erklärt, dass er immer so sein müsse, um seine Arbeit mit Erfolg auszuführen. Emotionen, ja Wut zeigt er, wenn er auf seine Gegner in russischen Cockpits angesprochen wird: «Sie bombardieren jeden Tag Städte und Orte, an denen es keine militärischen Ziele gibt. Das ist einfach dumm und unmoralisch. Sie sind einfach Kriminelle.»

Laut der ukrainischen Luftwaffe haben die Russen seit dem Beginn der Invasion 200 ihrer rund 1200 Kampfflugzeuge und 162 der etwa 500 Kampfhelikopter verloren. «Wir hatten erwartet, dass sie viel besser sein würden, als sie es im Moment sind», so Kampfpilot Juice. «Aber sie waren nicht bereit für einen echten, grossen Krieg.»

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Der Jungpilot denkt, dass die Russen «Operationen auf dem Niveau von Syrien verstanden haben, wo sie eine vollständige Luftüberlegenheit hatten, ohne dass es einen wirklichen Widerstand gab. Auf den Widerstand hier waren sie nicht vorbereitet.»

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Kaum Luftkämpfe wie in «Top Gun»

Doch noch seien die Russen in der Luft in der Übermacht. Die Ukraine brauche F-15 und F-16, um die Oberhand über die Russen zu gewinnen. Ein MiG-29-Pilot brauche rund zwei Wochen, um einen US-Kampfjet der F-Serie zu fliegen.

Derzeit bestehe die «Hauptaufgabe» seines Geschwaders darin, «alle Arten von Bedrohungen aus der Luft abzufangen, wie Marschflugkörper, Bomber, Bodenangriffsjets oder Hubschrauber».

Luftkämpfe im Stil von «Top Gun» seien äusserst selten. In den meisten Fällen eskortieren er und seine Pilotenkollegen Kampfflugzeuge oder halten sich einfach nur über einem bestimmten Gebiet in der Luft auf, um russische Piloten abzuschrecken.

Geist von Kiew ein Kollektiv

Juice erinnert daran, dass er in den letzten Wochen mehrere Freunde verloren habe, darunter auch Major Tarabalka. Selber ärgert er sich darüber, dass Tarabalka als «Geist» bezeichnet worden sei. Es gebe nicht den Geist von Kiew. Die Legende stamme von einem Piloten, dessen MiG-29 in den ersten Tagen der Invasion über der Region Kiew gesehen wurde.

«Es ist ein Kollektiv», sagt Juice. «Wir sind alle Geister von Kiew.» (kes)

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