Trump als Ikone
Warum dieses Bild Geschichte schreiben wird

Das Fotoalbum der Menschheit ist um ein Bild reicher. Es entstand Sekunden nach dem Attentat. Und hätte die Kraft, zum Siegel einer Ära zu werden.
Publiziert: 21.07.2024 um 12:37 Uhr
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Ikonisch: Das Bild entstand am 13. Juli Sekunden nach dem Anschlag.
Foto: keystone-sda.ch
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Die Kugel des Attentäters hat den Schädel des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump nur um Millimeter verfehlt. Er blutet aus einem Ohr, die Personenschützer stürzen sich auf ihn. Der Angeschossene aber duckt sich in dem Moment nicht weg. Der 78-Jährige steht auf und reckt seine Faust in die Höhe.

Das Foto, das diese Sekunden bei einem Wahlkampfauftritt am 13. Juli in Butler im Bundesstaat Pennsylvania festhält, ist kein gewöhnliches Pressebild.

Dieses Foto erinnert mit seinem Blickwinkel, seiner Raumaufteilung, der Platzierung der Figuren und den Farben an die Werke der alten Meister: Trumps Faust und mit ihr der ganze Kandidat dringt nach oben, nach vorne. Die Personenschützerin im Vordergrund hingegen markiert eine Bewegung zum Boden. Der Bodyguard rechts schaut in die Augen des Betrachters, Trump in die Weite, die Frau nach unten. Die Menschen auf dem Bild haben etwas Antik-Kolossales, während die US-Flagge im Hintergrund federleicht im Wind weht. Die Leute sind dunkel gekleidet, der Himmel kontrastiert mit klarem Blau.

In der Mitte des Bildes sehen wir Trumps Kopf und seine kampfeslustige Mimik. Um ihn herum bildet die Menschengruppe die Andeutung einer Pyramide mit Trumps Faust an der Spitze – in Richtung oben, in Richtung Himmel, in Richtung Sieg.

Das Spiel mit den entgegengesetzten Vektoren entfaltet eine Bewegung im Bild, wie sie bereits Maler wie Dürer und Caravaggio bei ihren Darstellungen dramatischer Bibelszenen erzeugten.

Vielleicht kommt das Publikum darum übereinstimmend zum Schluss, es hier mit einem sogenannten Ikonenbild zu tun zu haben. Den Begriff Ikone kennt man aus der religiösen Praxis der orthodoxen Kirchen. Diese Darstellungen von Heiligen und Messias sind nicht bloss eine Abbildung – sie sind geweiht und schlagen eine Brücke zwischen den Gläubigen und dem Abgebildeten.

Wie durch einen Zauber entwickelt auch dieses Foto ein Eigenleben, ein eigenes Dasein. So wird das Bild vom trotzig die Faust reckenden Donald Trump zu mehr als einer Fotografie; es wird zu einem Medium zwischen dem Hoffnungsträger und seiner Gefolgschaft; das Bild wird im Moment seiner Betrachtung zu Trumps Politik, ja zu Trump selbst.

Donald Trump, aufgewachsen als Spross der New Yorker Oberschicht, gilt seinen Gegnern als Feigling, der sich vor dem Militärdienst gedrückt hatte. Das Foto zeigt ihn als kühnen Beschützer und Märtyrer, der sich für das gebeutelte Amerika vor die Gewehrläufe wirft. So feiern ihn die Maga-Anhänger – doch ist er auch Erlöser in eigener Sache, befreit er doch sich selbst von seinen Sünden, über die plötzlich niemand mehr spricht: So hatte er das Instrument der Lüge auf ein neues Level gehoben – Barack Obama ist Muslim!

Er hat den Umgang mit politischer Konkurrenz in einen neuen Verrohungszustand geführt – Gefängnis für Hillary Clinton! («Lock her up!»). Er fiel durch plumpen Sexismus auf («Grab them by the pussy») und verbreitete die vielerorts übernommenen «fraud claims», jene krachend eingestürzte Verschwörungstheorie, wonach seine Abwahl 2020 manipuliert gewesen sein soll.

All diese Erinnerungen verblassen angesichts des schwächelnden US-Präsidenten Joe Biden (81) und der gleichsam stattfindenden Aufwärtsbewegung Donald Trumps. Das Bild vom 13. Juli 2024 verewigt diese Entwicklung.

Der zwingende Charakter dieses Drangs von unten an die Macht findet sich in ähnlicher Bildsprache bei der barbusigen Marianne, der französischen Nationalfigur, die auf dem berühmten Delacroix-Gemälde «Die Freiheit führt das Volk» die Trikolore-Fahne in die Luft hebt. Das Bild von 1830 symbolisierte den Aufbruch in eine neue Ära. Auch das Trump-Foto soll diesen Zweck erfüllen – und die Welt schaut gebannt zu.

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