Nach beinahe zwanzig Jahren können sich Tatjana Garcia (25) und ihre Halbschwester Angelika Batiai (24) wieder in die Arme schliessen. Jahrelang leben sie in verschiedenen Ländern, wachsen in unterschiedlichen Kulturen auf. Jetzt sind sie wieder vereint – wegen des Ukraine-Kriegs.
Die ersten Jahre ihres Lebens verbringen die beiden gemeinsam, berichtet der «Guardian». Sie wachsen in der südukrainischen Stadt Mykolaiw bei ihrer alleinstehenden Mutter auf. Doch nach wenigen Jahren werden die Geschwister getrennt. Angelika, damals fünf Jahre alt, zieht zu einer Tante. Tatjana wohnt zuerst bei einer Grossmutter, wird dann in staatliche Obhut übergeben.
Über Facebook wieder gefunden
Sie hätten darum gebettelt, zusammen bleiben zu können, erzählt Tatjana Garcia gegenüber dem «Guardian» – ohne Erfolg. Die finanziellen Verhältnisse der Tante reichten nicht aus, um beide Geschwister zu ernähren. Im Alter von acht Jahren wird Tatjana von einer spanischen Familie adoptiert und zieht nach Girona.
Rund 2300 Kilometer Flugdistanz liegen nun zwischen den beiden Geschwistern. Trotzdem ist die ältere Schwester mit ihren Gedanken immer bei Angelika, die in der Ukraine zurückblieb. «Ich habe mir immer gesagt, dass ich zurück in die Ukraine reisen und sie dort finden werde.»
2019 stolpert Angelika Batiai auf Facebook über ein Profil. Es zeigt ihre Schwester in Spanien. «Sie hatte einen anderen Nachnamen. Aber ich wusste sofort, dass sie es ist», erinnert sie sich. Gemeinsam schmieden sie Pläne, wollen sich in Spanien treffen. Dann kommt die Corona-Pandemie.
Flucht über Polen nach Spanien
Im Februar rollen russische Panzer über die Grenze. Garcia zögert nicht lange, ruft bei Angelika Batiai an. «Ich habe ihr gesagt, dass es nun einen Krieg geben wird. Darum habe ich sie gebeten, ihre Sachen zu packen und zu fliehen.»
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Die in der Ukraine lebende junge Frau zögert. Dann entscheidet sie sich gemeinsam mit ihrem Partner dennoch für die Flucht. Über eine komplizierte Route gelangen sie aus dem Süden an die polnische Grenze. Von dort geht es weiter nach Warschau und schliesslich mit dem Flieger nach Spanien. Die Schwester hilft, so gut es geht. «Ich musste ihr erklären, wie man das Gepäck am Flughafen eincheckt. Sie sass noch nie in einem Flugzeug», erinnert sie sich.
Gedanken bei den Angehörigen
Nach langen Tagen des Wartens trifft sie endlich in Spanien ein. «Ich konnte es kaum glauben, als ich sie wieder gesehen habe. Ich habe mir oft überlegt, wie dieser Moment sein würde. Aber am Ende war es einfach nur Fassungslosigkeit», sagt Tatjana Garcia.
Auch Angelika Batiai kann es noch immer nicht glauben. «Es ist wunderbar, irgendwie unglaublich. Gleichzeitig ist es aber auch sehr traurig, wenn man an die Umstände denkt.» Viele ihrer Verwandten sind noch immer in der Ukraine. Die junge Frau hat sie nicht vergessen: «Ich denke immer an sie. Jeden Tag.» (zis)