Ein Skandal erschüttert gerade ganz Grossbritannien. In den Jahren 2000 bis 2019 sind in britischen Kliniken des Nationalen Gesundheitsdienstes NHS mehr als 200 Babys wegen mangelhafter Geburtshilfe während oder kurz nach der Geburt verstorben.
Wie «Bild» berichtet, leiteten die Behörden 2017 Ermittlungen ein. Nun wurde am Mittwoch der 250 Seiten lange Untersuchungsbericht veröffentlicht. Darin wird das Ausmass der Tragödie ersichtlich. 201 Babys und neun Mütter starben durch falsche Behandlungen. Bei den Neugeborenen wurden Schädelfrakturen, Knochenbrüche und Hirnschäden wegen Sauerstoffmangels bei der Geburt festgestellt.
Mütter wurden zur natürlichen Entbindung gezwungen
Obwohl es aus medizinischer Sicht ratsamer gewesen wäre, die Babys per Kaiserschnitt zu gebären, wurden die Mütter zu einer natürlichen Entbindung gezwungen. Der Grund: Die Spitäler wollten ihre Kaiserschnittrate so niedrig wie möglich halten. Je tiefer diese nämlich ist, desto besser gilt die Geburtsmedizin in einem Spital. Insgesamt wurden 1592 Vorfälle untersucht, von denen 1486 Familien betroffen waren.
Eine von ihnen ist Rhiannon D.* Dass es sich bei ihr um eine Risikoschwangerschaft handelte, habe das Krankenhauspersonal nicht erkannt. Auch die Ärzte hätten nicht interveniert. Bereits kurz nach der Geburt habe D. gemerkt, dass etwas mit ihrem neugeborenen Mädchen nicht stimmte.
Das Baby wurde zur Untersuchung in ein nahegelegenes Spital geflogen. Doch: Jede Hilfe kam zu spät, das Baby verstarb. «Es wurden so viele Fehler während meiner Schwangerschaft, während der Wehen und in den ersten Stunden ihres Lebens gemacht», sagt D. zu «Sky News».
Gemeinsam mit ihrem Mann wollte D. mehr über die Todesursache ihres Babys erfahren. Es dauerte nicht lange, bis sie herausfanden, dass auch andere Eltern, die ihre Babys in NHS-Krankenhäuser geboren hatten, über gleiche Erfahrungen berichteten.
Die trauernden Eltern wollten Antworten und brachten die Behörden 2017 dazu, der Sache auf den Grund zu gehen.
Gesundheitsminister hat polizeiliche Untersuchung angekündigt
Die Leiterin der Untersuchung, Doanna Ockenden (55), prangerte die Krankenhausbetreiber an und warf ihnen vor, nicht aus ihren Fehlern gelernt zu haben. Selbst nach 40 Prozent an Totgeburten hätten die Spitäler keine Untersuchung dazu eingeleitet und die Sache einfach unter den Teppich gekehrt.
Der Fall hat derart hohe Wellen geschlagen, dass sich jetzt sogar der britische Gesundheitsminister Sajid Javid (52) am Mittwoch bei den Familien entschuldigt hat. In einer Parlamentsrede wandte er sich an «alle Familien, die so schwer gelitten haben.» Die Untersuchung zeige eindeutig, dass die Familien im Stich gelassen wurden von einem Dienst, der dazu da gewesen sei, Leben auf die Welt zu bringen.
Den Spitalverantwortlichen drohen nun Konsequenzen. Javid deutete eine polizeiliche Untersuchung an, die sich 600 Fälle genauer ansehen werde. (ced)
*Name bekannt