Quizfrage: Was haben der israelische Verteidigungsminister Benny Gantz (63) und der irakische Milizenführer Muqtada al-Sadr (48) gemeinsam? Ganz bestimmt nicht viel. Doch in einem Punkt sind sie sich einig: Beide Herren haben sich als Fans der marokkanischen Fussball-Nationalmannschaft geoutet. Nach dem Sieg der «Atlas Löwen» gegen die einstige Kolonial- und aktuelle Fussballmacht Spanien gratulierte der Israeli Gantz «unseren arabischen Freunden». Der Iraker al-Sadr sah im überraschenden Fussballresultat gar neue «Hoffnung auf den arabischen Sieg».
Von Kairo bis Casablanca, von Jemen bis an den Golf, brachen die Menschen in Jubelstürme aus. Elf Fussballer aus dem nordafrikanischen Königreich haben die ganze arabische Welt in positiven Aufruhr versetzt (auch wenn 80 Prozent der Marokkaner Berber sind). In den Strassen der palästinensischen Grossstadt Nablus erzählt man sich Scherzes halber bereits, die globale Freude über Marokkos Sieg werde den Nahostkonflikt beenden. Und in Kairo erstrahlt das höchste Gebäude der Stadt in Marokkos Farben.
Sie verteidigen den Traum von 1,5 Milliarden Menschen
Das Königreich Marokko: seit 1956 unabhängig von seinen einstigen französischen und spanischen Beherrschern, weitgehend unberührt vom arabischen Frühling, touristisch weit oben auf der Wunschliste der Jetsetter. Das verhältnismässig kleine nordafrikanische Land verzückt derzeit die ganze arabische Welt und vereint ganz Afrika hinter sich. Als letzte Mannschaft des globalen Südens, die sich im Turnier halten konnte, verteidigen die Abwehrspezialisten vom Fusse des Atlas heute im Viertelfinalspiel gegen Portugal (20 Uhr) nicht nur ihren Torraum, sondern die Träume von mehr als anderthalb Milliarden Menschen.
Eine gewaltige Last – und eine einzigartige Chance für das Team, das die Fifa gerade mal auf Platz 22 seiner Weltrangliste führt.
«Manchmal werden Träume halt tatsächlich wahr», sagt der gebürtige Marokkaner Said Ousaadane (37), der mit seiner Frau in der Gemeinde Obfelden ZH den Catering-Service Berber Food betreibt. «Wenn ich an das nächste Spiel denke, habe ich jetzt schon Tränen in den Augen.» In seiner Heimat hätten die Menschen ob dem sensationellen Sieg kurzzeitig alle Probleme vergessen, erzählt er am Telefon. «Die Politik, den Krach mit dem Nachbarn, das ist alles in den Hintergrund gerückt. Jeder Araber, jeder Afrikaner ist jetzt ein bisschen Marokkaner», sagt Ousaadane.
Was Marokko aus dem Fussball-Sieg gelernt hat
Genau so hat das auch Hassan Soufiani (57) erlebt. Nach 30 Jahren in Madrid ist er kürzlich nach Marrakesch zurückgekehrt. «Dieser Sieg war ein magischer Moment. Wildfremde Menschen haben sich in den Strassen auf den Mund geküsst. Aus Feinden wurden kurzzeitig Freunde.» Für sein Land eine pure Genugtuung, sagt Soufiani. «Die Fussballer haben uns Marokkanern gezeigt: Wenn wir wirklich wollen, dann schaffen wir alles.»
Ein ganz spezieller Moment war Marokkos Fussball-Erfolg auch für die Schweizerin Nicole Billi, die in Marrakesch das Hotel Riad Be Marrakech betreibt. «Meine dritte Tochter kam während des Fussballspiels zur Welt. Als ich im Aufwachraum lag, haben die Mitarbeitenden des Spitals drüben im Pausenraum noch immer gejubelt.» Nicole Billi hofft, dass der sportliche Erfolg dem Reiseland Marokko nach den Pandemiejahren wieder etwas Aufschwung bringt. «Das ist gut für den Ruf dieses wunderbaren Ortes. Und wenn die positiven Vibes die Menschen gwundrig machen, was Marokko genau für ein Land ist, dann umso besser.»