Es ist entsetzlich, was zurzeit in Belarus abgeht. Machthaber Alexander Lukaschenko (67) lässt Tausende Migranten aus Afrika und dem Nahen Osten einfliegen, um sie gezielt nach Polen und Litauen und somit in die EU einzuschleusen. Es ist seine Antwort auf die Sanktionen der EU, die zusammen mit den USA das Ergebnis der Präsidentschaftswahl von 2020 nicht anerkennt.
Das Leiden an der Grenze ist gross. Die Migranten harren bei bis zu minus zehn Grad aus, in der Hoffnung, den polnischen Grenzzaun überwinden zu können. Viele verletzen sich an den messerscharfen Mini-Klingen des Sicherheitsdrahts. Hinter ihnen treiben sie belarussische Soldaten mit Schüssen an, vor ihnen steht ein Heer von polnischen Sicherheitskräften, die ihnen Tränengas in die Augen sprühen.
Kriegsführung mit Migranten
Lukaschenkos Vorgehen nennt man hybride Kriegsführung – eine Bedrohung auf mehreren Ebenen. Ziel des Angreifers ist es, nicht nur Schaden anzurichten, sondern Gesellschaften zu destabilisieren und die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Das dreckige Spiel mit Migranten ist keine Erfindung von Lukaschenko. Schon andere Staaten setzten Menschen auf der Flucht als Druckmittel gegen Europa ein.
Anfang 2020 kam es an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland zu ähnlichen Szenen, als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (67) Tausenden Migranten grünes Licht zum Weitermarsch erteilte. Auch die Griechen riegelten damals mit Hilfe der EU die Grenzen ab. Der Streit um die Migranten forderte Tote und Verletzte.
Erdogan weiss, was die mehreren Millionen Migranten in seinem Land wert sind. Im Sommer hat er sich fürs Zurückhalten von der EU erneut 3,5 Milliarden Euro versprechen lassen.
Gaddafi drohte mit «schwarzem Europa»
Im Mai dieses Jahres öffnete Marokko den Grenzzaun Richtung der spanischen Exklave Ceuta. Innerhalb von zwei Tagen strömten auf dem Landweg und schwimmend gegen 12'000 Marokkaner in die spanische Stadt im Norden Afrikas.
Auch Staaten wie Algerien und Nigeria lassen Migranten ziehen, um Europa zu erpressen. Selber sind die Regierungen in den meisten Fällen trotz Abkommen nicht bereit, abgewiesene Asylbewerber oder verurteilte Landsleute zurückzunehmen.
Schon Ende 2010 drohte der damalige libysche Diktator Muammar al-Gaddafi (1942–2011) damit, Flüchtlinge loszuschicken, wenn die EU ihn nicht mit Milliarden Euro und technisch unterstützen würde. Er sagte damals, dass dann der «christliche, weisse» Kontinent Europa «schwarz werden» würde.
Bewusst betreiben Staaten auch Desinformation. Vor einigen Jahren nahm die Zahl der Migranten aus Tschetschenien in der EU stark zu. Der Grund: Im Kaukasus wurden gezielt Gerüchte gestreut, dass Deutschland Tausende Menschen aufnehmen, ihnen sogar ein Begrüssungsgeld bezahlen und eine Wohnung zur Verfügung stellen soll.
Migranten als Faustpfand
Das Phänomen der hybriden Bedrohung wird weiter zunehmen. Davor warnte schon im Frühling das deutsche Innenministerium. Gewisse Staaten würden die Migration zum Teil als «Faustpfand für Verhandlungen» nutzen.
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Um den Druck auf ein Zielland wie Deutschland zu erhöhen, würden «Migrationsströme gezielt an einen bestimmten Grenzabschnitt zur EU» gesteuert. Durch Kampagnen in sozialen Medien würde versucht, Migranten zu «massenhaftem Grenzübertritt zu mobilisieren».
Schweiz steht bereit
Die Schweiz beobachtet die Lage in Belarus «mit Besorgnis». Auf Anfrage schreibt das EDA: «Dass Migrantinnen und Migranten instrumentalisiert werden, um politische Ziele zu verfolgen, ist schockierend und zu verurteilen.»
Da ein solider Grenzschutz an allen Aussengrenzen «eine Grundlage für eine stabile Migrationssituation innerhalb Europas» sei, werde sich die Schweiz «in dieser gemeinsamen Aufgabe weiterhin solidarisch zeigen und entsprechende Anfragen im Kontext der aktuellen Situation prüfen».
Deutlicher wird die EU. Am letzten Gipfel in Brüssel hiess es an die Adresse von Belarus-Machthaber Lukaschenko: «Der Europäische Rat wird keinen Versuch von Drittländern akzeptieren, Migranten für politische Zwecke zu instrumentalisieren.»
Allerdings bleiben auch der EU nicht viel mehr Möglichkeiten, als die Sanktionen gegen Belarus weiter auszuweiten. Das aktuelle Drama an der belarussischen Grenze ist damit nicht gelöst.