Bei vielen löst der Gedanke an eine erneute Pandemie Angst und Schrecken aus. Doch genau das könnte uns bald wieder bevorstehen. Die höheren Temperaturen in der Arktis tauen den Permafrostboden der Region auf und uralte Viren treten an die Oberfläche. «Wenn sich im Permafrost ein Virus verbirgt, mit dem wir seit Tausenden von Jahren nicht mehr in Berührung gekommen sind, könnte es sein, dass unsere Immunabwehr nicht ausreicht», erklärt Birgitta Evengard, emeritierte Professorin für klinische Mikrobiologie in Schweden, die Entwicklung in der Arktis gegenüber CNN. Sie und andere Experten schlagen deswegen Alarm: Die Risiken seien nicht zu unterschätzen.
Bisher hat der Permafrostboden uns die unbekannten Gefahren vom Leib gehalten. Die dicke Eisschicht hat im Grunde als Speichermedium gedient, denn sie stellt eine sauerstofffreie und lichtundurchlässige Umgebung dar. Allerdings erwärmt sich die Arktis derzeit bis zu viermal schneller als der Rest der Erde, wodurch die oberste Schicht des Permafrosts dahinschmilzt.
Zombie-Viren tauen auf
Jean-Michel Claverie, emeritierter Professor für Medizin und Genomik in Marseille, hat Erdproben des sibirischen Permafrostbodens darauf untersucht, ob die darin enthaltenen Viruspartikel noch infektiös sind. Der Forscher machte eine schockierende Beobachtung: Er stiess auf «Zombie-Viren», wie er sie bezeichnet.
Claverie konnte mit seinem Team beweisen, dass uralte Amöben-Viren, also Viren, die nur einzellige Amöben befallen, immer noch infektiös sind und zum Leben erweckt werden können. Die älteste Probe sei fast 48'500 Jahre alt gewesen. Aus Sicherheitsgründen hatte er und sein Team sich dafür entschieden, ein Virus zu untersuchen, das nur einzellige Amöben befallen kann, nicht aber Tiere oder Menschen.
«Wir sehen die Spuren von vielen, vielen, vielen anderen Viren»
Der Forscher befürchtet, dass seine Beobachtungen mehr als eine faszinierende Entdeckung, sondern eine ernstzunehmende Bedrohung für die Menschheit sein könnte. Denn: «Wir sehen die Spuren von vielen, vielen, vielen anderen Viren.»
Das Risiko, dass darunter ein Virus ist, der für den Menschen gefährlich werden kann, sei gegeben. «Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob sie noch leben. Aber wir gehen davon aus, dass, wenn die Amöben-Viren noch lebendig sind, es keinen Grund gibt, warum die anderen Viren es nicht sein sollten», erklärt er. Zurzeit können Wissenschaftler aber noch nicht abschliessend sagen, wie lange die Viren infektiös bleiben könnten, wenn sie den heutigen Bedingungen ausgesetzt wären.
Dass dies nicht nur Theorie ist, zeigte ein Milzbrandausbruch in Sibirien im Jahr 2016. Alte Sporen von Bacillus anthracis aus alten Gräbern oder Tierkadavern wurden durch das Abtauen des Permafrostbodens freigesetzt. Dutzende Menschen erkrankten. Deswegen ist auch die Biologie-Professorin Birgitta Evengard besorgt. «Wenn sich im Permafrost ein Virus verbirgt, mit dem wir seit Tausenden von Jahren nicht mehr in Berührung gekommen sind, könnte es sein, dass unsere Immunabwehr nicht ausreicht.» (lia)